Ein sonderbares Geschenk

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

In der Gegend von Sumiswald, Wasen und Hornbach erzählt man von einem grünen Reiter auf der Schlange. Im Tal Hornbach befindet sich ein Bauernhof, der ebenfalls Hornbach heißt, am Flüßchen gleichen Namens. Im 18. Jahrhundert, so wird erzählt, waren die Maitschi jenes Hofes damit beschäftigt, ihre Wäsche an einer tiefliegenden Stelle nahe am Bach zum Trocknen aufzuhängen. Da kam ein grüngekleidetes Männchen daher, das ein Hülfterchen um den Leib gebunden hatte. Er grüßte sie freundlich und sagte ihnen, sie sollten ihre Wäsche wegnehmen, sonst könnte sie ihnen forgeschwemmt werden. Die Maitschi lächelten nur. Allein es kam bald ein starker Regen und die dunklen Wolken häuften sich so an, daß die Mädchen mit ihrer Wäsche davoneilten. Wie ein Wolkenbruch ergoß es sich über die Gegend des hinteren Teils von Hornbach. Der Bach schwoll an, die Einwohner strömten aus ihren Häusern, um den befürchteten Verwüstungen des Baches womöglich Einhalt zu tun. Zum Schrecken der Wäscherinnen sahen sie auf der ersten mächtigen Welle eine große Schlange und auf ihr saß dasselbe grüne Männchen, das sie vormittags angesprochen hatte. Das Hülfterchen hatte es der Schlange angelegt und ritt so auf dem Wasser fort. Auf dem Rasen machte die Schlange einen Sprung und fiel jenseits wieder ins Wasser. Der Bach hauste fürchterlich. Auf der Alp Hinterried wurden mehrere Kühe fortgerissen, eine oder zwei von diesen wurden stundenweit fortgeschwemrnt und gerade dem Bauern, dem sie gehörten, auf die Matte geworfen. 

Oberhalb der Emmenmatt, wo sich der Hauptfluß des Emrnentales der Ilfis nähert, um sich kurz hernach mit letzterer zu vereinigen, stand vor Zeiten dicht an dem steinigen Ufer ein kleines, rauchgeschwärztes Häuschen. Ein armer Korbmacher wohnte hier mit seiner großen Familie. Mancher wunderte sich darüber, daß der arme Korber nie fremde Hilfe in Anspruch nahm, und es ging das Gerücht, daß sich die Erdmännlein bei ihm versammelten und ihn dafürreich beschenkten. Der Korber, darüber befragt, stellte dies nicht in Abrede, obschon das Licht, das man zu mitternächtlicher Stunde dort erblickte, seinen Grund in etwas ganz anderem hatte. Einmal nun zog ein gewaltiges Gewitter vom Hohgant her über die Berge des obern Emmentales. Alle Wasser schwollen in kurzem so an, daß Brücken und Stege von den reißenden Fluten fortgetragen und das Land auf weite Strecken überschwemmt und viele Fuß hoch mit Schutt und Steinen bedeckt wurde. Auch dem Häuschen, worin der Korber wohnte, drohte Gefahr. Nur mit Mühe gelang es ihm und den Seinigen, das nackte Leben zu retten. 

Schon stürmte die wogende Wasserflut brandend und schäumend an die Mauern des Häuschens, als der Korbmacher, der noch einmal zurückgekehrt war, um noch zu retten, was zu retten war, auf dem niedem Dache seines Hüttchens ein winziges Männlein erblickte, das in Todesangst um Hilfe schrie. Ohne sich zu besinnen, watete der Korbflechter durch das Wasser seinem Hüttlein zu, schwang das kleine Männlein auf seine Schultern und erreichte bald sichern Boden. 

«Du hast mir das Leben gerettet», sagte das Männlein «und ich möchte nicht undankbar erscheinen. Nimm hier diese Erbsen und koche dir und den Deinigen ein Müschen daraus. Aber gib acht, daß stets zwei davon übrig bleiben!» Mit diesen Worten drückte das Männlein dem Korber ein Säcklein Erbsen in die Hand und verschwand. 

Der Korber, noch immer in Gedanken mit der Rettung seiner wenigen Habseligkeiten beschäftigt, hätte bald in seinem Unmut das sonderbare Geschenk des Zwerges weggeworfen. Aber er behielt das Säcklein Erbsen und kehrte zu den Seinigen zurück, welche in einem Nachbarhause Aufnahme gefunden hatten. 

Das Wasser verlief sich die Nacht hindurch, so daß der Korbflechter am Morgen mit seiner Familie wieder in sein Häuschen einziehen konnte, das von den Wellen verschont geblieben war. Kaum war der größte Schutt aus der Wohnung geräumt, mußten die Erbsen herhalten, die wirklich ein so ausgezeichnetes Mus lieferten, daß alle wünschten, jeden Tag Erbsenmus zu essen. Ihr Wunsch ging in Erfüllung; denn am folgenden Morgen war das Säcklein wieder voll und so alle Tage. Dabei blieben der Korbmacher, seine Frau und Kinder gesund und frisch und sie brachten es in kurzer Zeit dahin, daß sie aus dem Erlös ihrer Ware Ersparnisse machen konnten und alle Not ein Ende hatte. Das Geheimnis von den Erbsen vererbte sich von Kind auf Kindeskinder und würde noch heute bestehen, hätte ein unachtsames Mädchen nicht einmal, als es die Küche zu besorgen hatte, alle Erbsen auf einmal zum Kochen verwendet. Von da an blieb das Säcklein leer. 

Emmental

Aus: H. Herzog, Schweizer Sagen, Für Jung und Alt,Erste Sammlung, Aarau 1871 

Siehe auch: "Der Lehenzins", "Das ergiebige Käslein"

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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