Unter der ehemals hölzernen, gedeckten Brücke, die bei Attinghausen über die Reuss führt, hauste vor Zeiten ein Geist oder ein Gespenst und belästigte die Menschen. In Attinghausen lebte damals eine Familie namens Zeffel, und auf ihr unablässiges Betreiben wurde das Gespenst verbannt in das steile »Arvächähli« ob dem Landgut Spälten, am Abhang des steilen, bröckligen Berges. »Das hend-er keim Totnä ta!« dachte das erzürnte Ungeheuer und schwur den Zeffel für alle Zeiten bittere Rache. »G'schyder und besser, äs cheem niä äkei Zeffel uff d'Spältä!«, liess es sich vernehmen und ballte dazu die Fäuste.
Jahre waren verstrichen, die Drohung vergessen, neue Geschlechter herangewachsen, da kam ein Zeffel als Besitzer auf die Spälten. Doch nicht lange! In einer fürchterlichen Gewitternacht löste sich unter entsetzlichem Krachen eine Rübi oben in der Arvenkehle los, wälzte sich tosend und brüllend abwärts und bedeckte Haus und Heim Spälten hoch mit Schutt. Ein anderer Zeffel wohnte in dem Gut, das heute Rübihostet heisst, wurde aber auch durch eine Rübi vertrieben. Einer der letzten Zeffel kam (im 19. Jahrhundert) auf die kleine, von Steinen und Wildwasser stets bedrohte Wiese Belvedere auf der Rübi in Altdorf; es war ihm da zu wenig sicher und er ging in die Fremde. So hat es die Zeffel nirgends mehr in Uri dulden wollen.
Das Arvächählämüetterli hingegen, so nannten sie jetzt das Gespenst, nahm mit den Zeiten auch andere, freundlichere Sitten an. Jedesmal, wenn in seinem Gebiet eine neue Stein- und Schuttlawine sich lösen wollte, und das geschah oft, jauchzte es warnend den bedrohten Leuten in der Spälten, so dass sie sich rechtzeitig flüchten konnten. Bei gutem Wetter sah man es nicht selten in der Spältenplangg in der Wiese sitzen und Ausschau halten; seine Haare hingen im wirr und in langen Strähnen über das Gesicht hinunter. Aber schon viele Jahre ist es nicht mehr beobachtet worden, zuletzt noch vom Ratsherr Baumann im Schweinsberg.
Öfters sei es auch beim Scheidtrögli ob dem Schweinsberg beobachtet worden. Einer sah es wie ein kleines, schwarzes Rind, das mit seinen Vorderfüssen im Trögli stand. Bloss das Gesicht sei etwas menschenähnlich gewesen.
Dann und wann soll man es im Walde und beim Scheidtrögli weinen gehört haben, aber mein Gewährsmann meint, das seien nur die Wildtauben gewesen, die zahlreich im Walde dort hausen. Andere beobachteten es, wie es sich mit aufgelösten Haaren über das Trögli lehnte und sein schwarzes Gesicht waschen wollte.
Statt der Arvenkehle nennen andere, darunter auch der 72jährige Sohn des genannten Ratsherrn Baumann, die Laubkehle.
K. Zgraggen; Heinrich Baumann, und a.
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.