Ein braver Geissbub trieb jeden Morgen die Ziegen von Bürglen in das Riedertal. Nie, auch nicht an Sonn- und Feiertagen, besuchte er die Kirche, obwohl er sonst ein frommes, ordliches Büebli war. Endlich b'schickte ihn der Pfarrer und fragte ihn, warum er gar nie zur heiligen Messe komme. Er gab zur Auskunft, er wohne jeden Tag einer heiligen Messe bei. – »Ja, wo denn?« – »Drinnen im Riedertal zu äusserst in den Talbergen bei einem grossen Stein; da singen gar schön die Engel, und einer von ihnen liest Messe.« – Eines Tages ging auch der Pfarrer mit ihm zu dem Stein. Der Knabe kniete da nieder, faltete andächtig die Hände und betete. Dann fragte er den Geistlichen, ob er es jetzt sehe. Dieser verneinte. – »Jä, und d'Ängel, g'heered-er dië äu nitt?« – Auch dazu musste der Pfarrer nein sagen. Aber er glaubte dem Knaben. Bald nachher fanden sie nahe beim Stein das Bild der Schmerzhaften Mutter und bauten eine Kapelle.
Erzählt 1914 von einer über 80 Jahre alten Bürgler Frau, die erklärte: »So han-i's vo dr Müetter g'heert.« Es ist wohl die ältere, ursprünglichere Form der Legende vom Riedertal. Auch vom Myttenstein im Riedertal habe die Mutter eine Geschichte erzählt, aber diese sei ihr nicht mehr im Gedächtnis.
Frau Arnold-Stadler
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.