Zu Törelen im Schächental war Josefa, die gute, besorgte Hausmutter, Gattin des Ratsherrn Kaspar Herger, gestorben. Bald hernach kamen eines Tages die jüngsten Kinder, es waren zwei besonders tifige und brave, aus der Dachkammer herbeigesprungen mit der Nachricht: »Wir haben die Mutter gesehen! sie ist im Werktagsgewand gewesen und hat uns traurig angeschaut.« Einige Zeit später wussten sie wieder zu berichten, die Mutter sei ihnen in der Stube erschienen, sie sei in gebückter Stellung der Wand entlang gestrichen und habe ihnen einen wehmütigen Blick zugeworfen. Wochen waren verstrichen, und man hatte unterdessen vieles für die Erlösung der braven Frau getan. Die Leute arbeiteten eines Morgens auf dem Felde und schickten die zwei Kleinen in das Haus, dort etwas zu holen. Da brachten sie wieder die Nachricht: »Wir haben die Mutter in der Stube auf dem Tisch gesehen; sie war sehr schön gekleidet wie die (angekleidete) Mutter Gottes in der Kirche und hat uns freundlich lächelnd angeblickt und mit den Fingern gewunken.« Das war das letzte Mal, dass sie von den Kindern gesehen wurde. Diese starben bald hernach im Kindesalter dahin; das eine erhielt die erste heilige Kommunion auf dem Krankenlager.
Die Erzählung, die ich von zwei Schächentalern vernommen, wurde mir 1915 von einer fast 80jährigen Schwester der Josefa bestätigt mit den folgenden Worten: »So sind's alligs 'Kind chu sägä; ich mecht nitt sägä-n-äs syg, und mecht nitt sägä-n-äs syg nitt; aber das isch wahr, sitdem ha-n-ich mich nimmä-n-äso gfurchtä.«
Johanna Brücker-Arnold; Barbara Gisler, Spiringen; Johanna Aufdermaur-Arnold
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.