1. Im Riedertal wohnte vor Zeiten eine alte Hexe; sie hasste die liebliche Muttergotteskapelle im Grunde des Tales, wo viel gebetet wurde, und wollte sie vernichten. Einen grossen Stein hatte sie losgelöst und mit vieler Mühe und Anstrengung durch das Chapälätal bis nahe ob die Kapelle gewälzt. »Diä heig da scho g'sperzt und äs Boorzi g'macht, ä b'hiät-is!« Die Leute schauten ihr zu. Auf einmal hörte sie auf zu stossen und stellte die Arbeit ein. Befragt, warum sie den Stein nicht weiter bringe, gab sie zur Antwort: »Das schwarz Maryli het-mer ergäget.«
Josefa Zwyssig, 80 J. alt (1904), von Seelisberg
2. Etwas anders lautet die Sage im 18. Historischen Neujahrsblatt von Uri (S. 26): Im Riblital, das von jeher ein böser Nachbar der Kapelle war, hauste vor Zeiten eine alte Hexe. Mehrmals wollte sie die Kapelle zerstören, aber es ist ihr nie gelungen. Einmal soll sie an einem Bindfaden einen gewaltigen Felsblock herangeschleppt haben, um ihn gegen das Gotteshaus herabzustürzen. In diesem Augenblick läutete das Wetterglöcklein der Kapelle. Zornig soll die Hexe gerufen haben: »Ds Maryli tschängget wider, ich cha nytt machä!« Ein anderes Mal rief sie: »Ds Sant Jo hanns-Sywli (oder: ds Johannis-Sywli) gysset wider, äs isch nytt z'machä.«
Die Glocke wurde wohl deswegen St. Johannes-Sywli genannt, weil der Wettersegen mit dem Evangelium des hl. Johannes beginnt und die alten Leute beim Herannahen eines Gewitters das nämliche Evangelium zu beten pflegten.
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.