Ob dem Dorf, wo der Hang sich buckelt, liegt haarscharf auf der Kante ein Felsknutsch, so spitz im Gleichgewicht, dass man ihn nur mit dem Finger zu berühren braucht, und er kippt und rollt und walzt das Dorf in den Boden. So scheint es auf den ersten Blick. Flach und mit einer dünnen Rasenschicht bedeckt, verjüngt er sich nach unten, weshalb man gegen die Dorfseite ein Stützmäuerchen errichtete, das aber nicht imstande wäre, den Absturz zu verhindern. Und doch schlafen die Leute gut in den Hütten und denken nicht an Schaden und Gefahr, denn nicht der Teufel, sondern der Herrgott regiert die Welt, und ohne seinen Willen kann der Stein sich nicht vom Fleck bewegen.
Der Teufel hatte ihn nämlich, und das ist keine Fabel, des Nachts am Sturmhorn losgebrochen und an diesen Ort geschuftet, um ihn auf das Dorf niederzuschmettern. Ein Stoss, und die Kirche wankt und begräbt unter den Trümmern die Häuser, die um den Turm sich scharen. Die Rast unterbrechend, spuckte er entzückt in die Klauen. Da stand der Schutzheilige des Dorfes, vom goldenen Schein umflimmert, urplötzlich vor ihm und hob schirmend das Kreuz. «Im Namen Gottes gebiete ich dir Halt!»
Der Teufel nieste entsetzlich, so beissend stieg ihm ein himmlisches Gerüchlein in die Nase. «Was hast du hier zu schaffen?» raunzte er, immerzu niesend, «mach Platz, sonst, beim höllischen Pfuhl, ich schone niemand, auch deine fragwürdige Heiligkeit nicht. Ein paar Sekunden, und dieser Klotz zerquetscht das Dorf mit Mann und Maus.»
«Kraft meines Amtes gebiete ich dir Halt, du Erzgauner und Versucher der Menschheit!»
Beelzebub kratzte sich hinter dem Ohr und tänzelte, als ob ihn an die Hufe fröre.
«Wozu die grause Tat?» fuhr der Heilige fort und schlug einen weichern Ton an. «Was haben die Dörfler verbrochen?»
«Zeig mir eine einzige Seele, die bereit wäre, eine Gutsache zu verrichten. Alle sind sie in voller Bosheit und Tücke und mir verfallen.»
«Komm mit!» heischte der Schutzpatron und ging die Kehren hinunter ins Dorf. Es war brandschwarze Nacht, Weg und Steg verschwammen in der Finsternis. Die Bewohner schliefen und woben lichte Träume. Kein Laut ringsum, als etwa das Schnaufen einer Kuh, das Gebimmel einer Ziegenschelle.
Vor einer schiefen Hütte blieben sie stehen. Geäst und Aufleseholz reckten die dürren Ärmchen an die zwei halberblindeten Fensterchen, die im Schein des Stubenlichtes glommen. Eine morsche Treppe stufte sich zur Küchentür. Man hörte das Gewimmer eines Kindes. «Steig hinauf und guck ins Gelass!» befahl der Heilige und versetzte dem Satan einen Rippenstoss.
Hopp war der Teufel oben, bog und zerrte den dünnen Hals vorwärts, wie den Blasebalg einer Harmonika, wischte den Staub aus den Butzenscheiben und schnüffelte am Glase. Ein Schattenriss war sein hässlicher Grind, das Profil von einem lichten Streifen gezeichnet, der über die Rabennase und das spitze Kinn ging, die wie feindliche Schnäbel gegeneinander hackten. Sein Haar stachelte sich, er kaute und mahlte wie an einem sauren Bissen.
«Was siehst du?» tönte es aus der Tiefe.
«Nichts kann ich sehen, es ist nicht hell genug in der Kammer.» «Dein Galgengesicht ist wie die Käuze, blind am Tag und sehend in der Nacht. Erkennst du nicht die Wiege an der Wand und das kranke Kind darin? Zu Häupten die Mutter, die gute Wache hat schon die dritte Nacht, und wenn der Tag anbricht, wird ihre Liebe und Aufopferung das Kleine gerettet haben. Ist das Tücke und Bosheit?»
Ein scharfes Schneuzen und Zischen, und in einem schwefelgelben Schuss saust der Teufel über das Dorf hinweg, wie immer, wenn ihm ein Heiliger tüchtig auf das Schandmaul getrommelt hat.
Quelle: Johannes Jegerlehner: Walliser Sagen, Hans Feuz Verlag Bern, 1959
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.