Johann der Bär

Land: Schweiz
Kategorie: Zaubermärchen

Eines Tages brach ein grosser ruppiger Bär ins Dorf, raubte eine Frau samt ihrem Kindlein an der Brust und schleppte sie in seine Höhle. Er hatte nicht die Absicht, sie zu fressen, er knurrte nicht, legte sich zu ihren Füssen und gebärdete sich wie ein zahmes, anhängliches Tier. Die arme Frau suchte zu entfliehen, vermochte aber den Block nicht wegzuwälzen, den der Bär, so wie er auf Beute ausging, vor den Eingang rollte.

Als das Büblein zwei Jahre alt war und sah, wie seine Mutter sich bemühte, den Klotz auf die Seite zu schieben, half er ihr mit seinen Ärmchen, denn die Kraft des Bären war auf ihn übergegangen. «Noch ein Jahr musst du wachsen, lieber Johann», sagte die Mutter, «und dann bist du stark genug.»

Drei Jahre alt geworden, fühlte Johann eine unbändige Kraft in seinen Gliedern, die Stunde der Befreiung nahte. Sie sandte den Bären mit einem Körbchen in den Wald und befahl ihm, Wasser zu holen. Da ihm das Kunststück nicht gelingen wollte, blieb er sehr lange aus, und unterdessen schob Johann der Bär, wie er nachmals genannt wurde, den Block auf die Seite und floh mit seiner Mutter nach Hause. Zum Jüngling emporgewachsen, gefiel es ihm nicht mehr daheim. Zu sehr war er vom rauhen Höhlen- und Waldleben erfüllt. Er nahm Abschied von der Mutter und zog in den Wald, um den grossen Bären aufzusuchen und zu töten.

Kaum eine halbe Tagereise unterwegs, traf er einen Riesen, der Waldbäume an der Dolde fasste und ausriss, rein nur zum Vergnügen. Hochmütig betrachtete er das Werk der Vernichtung und lud Johann ein, zu zeigen, was er zu leisten vermöge.

Gelassen umschlang Johann mit der Linken eine Tanne, mit der Rechten eine Buche und rupfte sie wie Halme aus dem Erdreich. «Schliessen wir Freundschaft», sagte er zum Riesen, «du bist ein Kumpan, der mir passt. Ich bin nämlich im Begriff, den grossen Waldbären aufzustöbern und zu erlegen, und das ist kein Spass.» Der andere lachte, dass der Forst erzitterte und die Tannzapfen hageldicht auf ihre Schöpfe plumpsten. «Einverstanden, wir zwei vereinigt, nehmen es mit der ganzen Welt auf.»

Selbander wanderten sie den Wald hinaus. Giebeltürme, Kuppeln tauchten auf, ein Vorhügel, auf dem ein Mann eine Schicht dreizentneriger Mühlsteine aufgetischt hatte und sich ergötzte, die Sandsteintrommeln über die Dächer der Stadt zu schleudern. «Rutsch mir den Buckel hinunter, Malefizfratz», rief er protzig, «das macht mir keiner nach, oder will es einer von euch Sprenzeln versuchen?»

Ohne ein Wort zu verlieren, packte Johann einen Stein und warf ihn, einem flachen Kiesel gleich, über die Stadt, dass er in den Wolken verschwand. Alsdann den zweiten und den dritten, und der letzte flitzte durch die Luft, fast wie die Kugel aus dem Lauf und entschwirrte den Blicken, bevor sie ihn wahrnehmen konnten. Er lud den Steinwerfer ein, ihnen Gesellschaft zu leisten, und der neue Kamerad sagte: «Rutsch mir den Buckel hinunter, Malefizfratz, auf euch hab ich gewartet» und ergriff den knorrigen Wanderstecken.

Die Meilensteine schwanden, und sie gerieten wieder in den Wald. In einer Blösse stand ein breitschermiges Haus mit einem Kartoffelacker auf der Morgen- und einem Ziergarten auf der Mittagsseite. «Wie für uns gebaut», rief der Riese und schmetterte die Tür auf. «Heda, Wein und Speisen auf den Tisch! Mir rumpelt und plumpert es im Magen. Niemand zu Hause, und doch ist für drei gedeckt, man könnte glauben, sie hätten auf uns gewartet.»

Sie liessen sich die Speisen munden, und da ihnen das unbewohnte Haus gefiel, richteten sie sich ein; der eine kochte, die andern pirschten das Wild. Zuerst kam der Riese an den Herd, und als Johann und der Mühlsteinwerfer hungrig von der Jagd heimkehrten, hockte er blass und verstört am Feuer, und der Tisch war ungedeckt. «Was ist das für eine Wirtschaft, wir haben nichts zu essen und du rührst dich nicht!»

«Wer morgen Küchenchef ist, wird es erfahren, was hier vor, geht», erwiderte er puckt und senkte den Kopf auf die Knie.

Am nächsten Tag blieb der Mühlsteinwerfer zurück, die beiden andern zogen auf die Hasenjagd. Als sie ihre Beute in die Küche trugen, war kein Essen bereit, der Koch hockte auf der Herdplatte und starrte vor sich hin. «Zum Teufel», schrie Johann der Bär, «was soll jetzt das wieder, so red doch, red, und verteidige dich, wenn du kannst!»

«Rutsch mir den Buckel hinunter und wart bis morgen, das Foppen wird dir vergehen.»

Am dritten Tag blieb Johann zu Hause, litzte die Ärmel zurück, sägte Holz und traf die Vorbereitungen zu einem währschaften Mahl. Seine Kameraden sollten sich nicht beklagen. Er stellte die Pfanne übers Feuer, röstete das Mehl, hackte Zwiebeln und goss das Wasser hinein. Als die Suppe sprudelte, rührte er mit der Kelle, trat zuweilen unter die Tür und horchte auf die Schritte seiner Gefährten. Es ist noch früh, noch lange nicht Mittag. Ich rüste den Spiess und brate den Hasen. Da knackte der Boden unter seinen Sohlen, eine Platte des dicken Steinbelages wölbte sich, und es flammte ein strohgelber Kopf mit feuerrotem Bart. Zwei lange Arme stemmten auf und zogen den Körper nach, es wollte kein Ende nehmen. Der ungeschlachte Lümmel berührte die Decke, wackelte mit den Ohren, klappte den Rachen auf und zu und gurgelte wie aus einer Sodbrunnenröhre: «Man wird sich - ruru - wohl ein bisschen am Feuer - ruru - wärmen können.» Bei jedem Ruru quatschte es, .wie wenn eine Kuh den Hinterfuss aus dem Schlammboden zieht. «Ich kann dir nicht dawider sein», entgegnete Johann seelenruhig und kreiste die Kelle in der brodelnden Pfanne.

«Du hast ja das Salz vergessen - ruru -, du Stümper von einem Koch!» Grinsend warf das Ungetüm eine Prise Holzasche in die Suppe.

«Probier es noch einmal, du Gauch, und ich dreh dir die Ohrenflügel ab.»

Das Ungeheuer klappte die Zahnlade auf und blies den Dampf wie ein Müllerross aus den Nüstern. «Ich muss dir die Suppe pfeffern - ruru - du blöder Küchengrudel», und bauz, schmiss er die zweite Prise in die Pfanne.

- «und dir den Wildkrautgarten wässern», knirschte Johann und platschte ihm die heisse Brühe über den Schädel, ergriff den Bart des Unflates und zerrte ihn hin und her, bis er in seinen Händen blieb, worauf das Ungetüm verschwand.

Johann schürte das Feuer, holte aus dem Garten Zwiebel und Grünzeug und goss frisches Wasser in die Pfanne. Die Kameraden kehrten heim, der Tisch war gedeckt, die Schüssel dampfend in der Mitte.

«Unbegreiflich, wie du die Mahlzeit fertiggebracht hast», wunderten sie. «Hat dich denn niemand gestört, ist der Rote nicht gekommen?»

Lächelnd öffnete Johann den Schrein, zeigte ihnen den grausigen Haarwust und kehrte wie mit einem Besen die Diele damit. «Habt ihr schon solchen Flachs gesehen? Pfui, wie ruppig und struppig!»

«Jawohl kennen wir das Zeug, das ist ja der Bart des Unverschämten, der uns die Suppe versalzen hat. Wie ist es dir denn gegangen? Wo ist das Ungeheuer hingekommen? Du bist ja so munter, als ob nichts geschehen wäre.»

Die Suppe schöpfend, erzählte Johann sein Abenteuer. «Das war ein lustiger Strauss», beschloss er, «und wir dürfen nicht auf halbem Wege stehen bleiben. Wir müssen dem Störenfried an die Gurgel, er soll Blut schwitzen, sonst ist er morgen wieder in der Küche und würzt uns das Mahl.»

«Jawohl, dem Lümmel gerben wir das Leder und legen ihm das Handwerk.» Sie leerten eine Kanne auf gutes Gelingen und hoben die Platte, unter der es finster gähnte, banden dem Riesen ein Seil um die Brust und wanden ihn durchs Kamin hinab. Das Seil erreichte den Grund nicht, was nun? Ein zweites war nicht aufzutreiben.

«Bah», sagte Johann, kühner gestimmt als die Gefährten, «lasst mich hinunter, ich halte einen Plumps schon aus.» Behutsam liessen sie ihn in den Schlund hinabgleiten und gaben ihm das Seil mit auf die Fahrt. Der Schacht war tiefer, als er glaubte, der Sturz von solcher Heftigkeit, dass ihm das Knie zerbrach. Er verbiss den Schmerz, wartete, bis die Augen sich der Dunkelheit angepasst hatten und sah sich um. Er befand sich in einer Küche, auf der Ofenbank schnarchte ein spindeldürres Weib, das er wachschüttelte. «Schaff eine Salbe her, die meine Knochen kittet, alte Runkelrübe, sonst wehe dir!»

«Nur nicht so unhöflich», gackerte sie, brachte ein Salbentöpfchen und rieb ihm das Knie ein, das auf der Stelle wieder heil und gesund war.

«Wo ist der Unhold, dem ich den Bart abgekauft habe?» «Hähä, ich weiss nichts von einem Unhold, weiss nichts.»

«Auf der Stelle zeigst du mir die Kammer, sonst» - er ballte die Faust und schwang sie drohend über ihrem Krähennest.

«Gleich, gleich, bitte, die erste Türe rechts. Er hält sein Mittagsschläfchen, und ich rate dir, ihn nicht zu reizen. Er ist kitzlig und zermalmt dich zu Staub und Mehl.»

Verächtlich stiess Johann das Weib auf die Seite, gab der Tür einen Fusstritt, ergriff einen scharfgeschliffenen Säbel, der an der Wand baumelte und ging auf seinen Feind los, der von dem Lager fuhr, blinzelte, die Kinnlade auf und zu schnappte und nicht wusste, wie ihm geschah. Ehe er ein Glied rühren konnte, blitzte der Säbel und spaltete das Haupt bis auf den Halswirbel. Leichenfahl stand die Alte auf dem Söller und schlotterte wie dürres Laub im Wind.

«Jetzt heraus mit der Geldkatze, hässliche Morchel, sonst kommst du an die Reihel»

«Ah, äh, ich weiss nichts von Geld und Gut. Der rote Teufel hat nie etwas von seinen Schätzen gesagt. Drei Gäxnasen sind da drinnen in meiner Hut, das ist alles, rein alles, und ich bitte um Gnade, grosser Herr.»

«Öffne den armen Dingern die Pforte, Runzelhexe ! Wo sind sie? Riegel auf!»

Umständlich grübelte sie einen grossen Schlüssel unter der Schürze hervor, und es sprangen drei Mädchen aus der Kammer und warfen sich vor Johann nieder. «Erbarmen, schone unser Leben, erlöse uns von diesem Scheusal!»

Während Johann die Jüngferchen tröstete und mit der sanftesten Stimme von seinen ehrlichen Absichten unterhielt, waren die Kameraden in der obern Küche nicht müssig geblieben. Nach langem Suchen hatten sie unter dem Dach ein Seil gefunden, das bis auf den Grund des Schachtes baumelte. Johann knüpfte es einem der Mädchen um den Leib und gab das Zeichen.

Überrascht von der zappeligen Beute, die sie ans Licht hoben, rückten sie einen Stuhl ans Feuer und luden das Mädchen zum Sitzen ein. Sie gafften und staunten ob der Schönheit, ein jeder begehrte sie zur Frau, und da sie sich nicht einigen konnten, fielen sie übereinander her und katzbalgten sich. Da erscholl das Kommando, die zweite heraufzuwinden, was sie unverweilt besorgten. «Rutsch mir den Buckel hinunter, die ist noch schöner als die erste, ich überlass dir die andere.»

«Blas mir, Mühlsteinwerfer, die zweite taugt für meine Grösse», und der Riese bugsierte den Kameraden unsanft in die Ecke.

Abermals ertönte der Ruf aus dem Schacht, und siehe, die dritte der Jungfrauen war der Gipfel der Schönheit. Allein nun galt es, Johann den Bären ans Licht zu fördern. Ist er oben, so jagt er ihnen die Schönste ab, das war klar. Bleibt er im Stollen, so haben sie seine Gegnerschaft nicht zu befürchten. Ein verschmitztes Galgenlächeln im Gesicht, rollten sie das Seil aus. Johann aber erriet die spitzbübischen Gedanken seiner Kameraden. Er kannte ihre unverwüstliche Begehrlichkeit und hatte diese Art von Freundschaft satt bis zum Halszäpfchen hinauf. Er band den Strick um den Schüttstein und gab das Zeichen. In der Meinung, der Kamerad hange am Seil, liessen sie den Strang in halber Höhe fahren, der Stein fiel in die Tiefe und zerbarst in tausend Stücke.

O diese Schurken! «He, Alte, ich will auch in die Küche hinauf», rief er, «mach, was du willst, aber hinauf muss ich.» Ohne Ausflüchte holte sie einen gesprenkelten Riesenvogel, der seine Fänge ausbreitete. Hopp sass er auf, hopp war er oben in der Küche. Die drei Mädchen sassen am Feuerherd und umringten ihren Retter, dankend, stammelnd, jubelnd. Er spazierte mit ihnen im Garten herum, und unversehens stürzten die Gefährten wie wilde Tiere auf ihn los, und es entspann sich eine grimme Rauferei, aus der Johann siegreich hervorging. Seite an Seite zappelten der Riese und der Mühlsteinwerfer auf dem Rücken, er kniete ihnen auf die Brust und bumste ihnen die Köpfe zusammen, dass es dröhnte wie von Kupferschlägen. Ob dem schauerlichen Echo im Walde richteten die Unterlegenen sich auf die Füsse und suchten das Weite.

Das schönste der drei Mädchen erkor Johann zu seiner Frau, die andern zwei blieben bei ihm als Dienerinnen, bebauten den Garten und die Felder und waren ihm treu ergeben. Von den Raufbolden hat er nie mehr etwas gehört.

 

Quelle: Johannes Jegerlehner: Walliser Sagen, Hans Feuz Verlag Bern, 1959

 

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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