Im Val d'Illiez lebte eine arme Familie, die nichts ihr eigen nannte als eine schwarze, baufällige Hütte, durch die der Wind pfiff, und ein Wiesenstück davor, wo eine kleine Bergkuh und zwei Ziegen ihr knappes Futter fanden. Der Vater ging während der grossen Arbeiten zu den hablichern Bauern der Talschaft und verdiente sich das Geld für den Unterhalt der Familie. Als er einst spät abends nach Hause kam, lag die Kuh tot im Stall. Da rang er die Hände und wusste sich nicht mehr zu helfen. Mit verbittertem Gesicht ging er am nächsten Tag von Hause fort. Da begegnete er mitten im Walde einem grün gekleideten Herrn, der einen grossen Sack unter dem Arm trug, in dem es klirrte, als ob lauter Goldstücke drin wären. Auf seinem langen, spitzen Kopf sass ein kleines Hütchen, von einem breiten, dunkelgrünen Band umschlungen, in dem eine Rabenfeder steckte. Der Grüne fasste ihn scharf ins Auge und fragte, warum er so sauer in die Welt blicke. Der Angeredete stand still und sagte: «Ich bin ein armer Teufel; gestern ist mir die Kuh umgestanden und das Geld zu einer andern fehlt mir!» Der Grüne lächelte und hob den Geldsack in die Höhe: «Sieh, da drinnen liegen einige Hundert der schönsten Golddukaten; der ganze Schatz gehört dir, wenn du mir das gibst, was zu Hause hinter dem Ofen liegt!»
Das Bäuerlein dachte: «Was wird zu Hause hinter dem Ofen liegen - die Katze - die ist alt und fängt keine Mäuse mehr, die mag er haben!» Und patsch, schlug er ein. Der Grüne übergab ihm den Sack, und als er ihn öffnete, fand er so viel Goldstücke drin, dass er nicht imstande war, alle zu zählen. Er wollte dem Fremden danken, aber der war verschwunden.
Voll Freude eilte er nach Hause, um die Frau mit der glücklichen Botschaft zu überraschen. Als er die Stubentür öffnete und den Geldsack schwenkte, hörte er etwas wimmern, und als er sich umsah, Jesus Maria, lag hinter dem Giltsteinofen ein Knäblein, das seine Frau soeben zur Welt gebracht hatte. Da warf er den Geldsack auf den Boden, dass die Goldstücke heraussprangen, fing an zu jammern und gestand der Frau, dass er für das Geld dem Teufel vor einer Stunde das Kind hinter dem Ofen verkauft habe. Da war nichts mehr zu ändern, der Handel war abgeschlossen.
Das Kind wuchs auf, ohne eine Ahnung zu haben, wer ihm einst zu Gevatter gestanden. Jedesmal, wenn die Eltern es speisten und ihm Käse und Brot vorsetzten, weinten sie. Da fragte der Knabe öfters, warum sie immer schluchzten, wenn sie ihm zu essen gäben. Die Eltern trockneten die Tränen und gaben ausweichende Antworten.
Als der Knabe grösser war, verlangte er die Ursache des Kummers zu wissen, und wenn er noch so Schreckliches hören sollte. Da erzählte ihm der Vater, wie er vor Jahren in grosser Armut, ohne zu wissen, was er tue, des Knaben Seele an des Teufels Geldsack umgetauscht habe. Der Knabe erschrak, fasste sich aber gleich und bat die Eltern, nicht mehr zu weinen, er gehe zum Pfarrer, der werde ihm schon helfen, und wenn der es nicht könne, so ziehe er bergauf und bergab, bis er jemand finde, der seine Seele dem Teufel entreisse.
Er begab sich zum Pfarrer und erzählte ihm, was er von seinem Vater vernommen hatte und bat herzlich, er möchte ihn aus den Klauen des Teufels befreien. Der Pfarrer sagte, mit Teufeln befasse er sich nicht, er solle auf die andere Bergseite gehen zum Amtsbruder, der banne Hexen und Stridel, der werde ihm schon raten und beistehen. Der Bub verliess das Pfarrhaus, schritt wacker fürbass und suchte den andern Pfarrer auf. Dieser gab ihm dieselbe Antwort. «Was geht mich der Teufel an, ich kann dir nicht helfen, aber am Fuss der Dent du Midi lebt ein Eremit, der ist so fromm, dass ihm jeden Tag das Brot des Himmels zugetragen wird, der wird dir schon helfen!»
Der Knabe setzte den Weg weiter und gelangte nach langem Herumirren zu der Klause des Waldbruders, der sich eben das Abendmahl bereitete. Er grüsste und erzählte ihm sein Leid. Der Waldbruder zuckte die Achseln und sagte: «Helfen kann ich dir nicht, aber vielleicht mein Bruder. Siehst du hinter dem Wald den schäumenden Wasserfall? Dort im Schatten der Felsen ist seine Hütte, aber wenn du hingehst, so wagst du das Leben, denn er ist ein grosser Mörder!» Der Knabe erwiderte: «Des Teufels bin ich ohnehin, und ob ich ein paar Jahre früher oder später zur Hölle fahre, das kommt nicht in Betracht; ich will auch das noch versuchen!» Der Eremite wollte ihn zurückhalten, da es stark eindunkelte, aber der Knabe rückte sein Käpplein und zog weiter. Die Sterne flimmerten und die Mondsichel löste sich von den Zacken der Dent du Midi und schwamm im lichten Ätherneer. Er eilte durch den Wald, stolperte mehrmals über allerlei Wurzelwerk und erreichte schweissbedeckt die Hütte des Mörders. Jetzt wurde ihm doch bänglich zu Mute. Er pochte schüchtern an die Tür. Nur die Frau war zu Hause, da sich der Mörder noch im Walde herumtrieb. Als sie die Tür öffnete und das blutjunge Bürschchen erblickte, fing sie an zu wehklagen. «Du armes Kind, mit deinem Leben ist es aus, mein Mann mordet alles, was sich hier herumtreibt! Aber du dauerst mich, ich will dich im Keller verstecken, damit er dich nicht sofort erwischt, wenn er heimkommt, und in der ersten Gier tötet!» Sie führte ihn in den dunklen Keller und versteckte ihn hinter einem grossen Fass.
Als der Räuber nach Hause kam, schnupperte er um das Haus herum und wetterte: «Hier ist Christenblut, heraus damit!» Die Frau stellte es in Abrede, aber da wurde er wütend, ballte die Faust und packte sie am Arm. «Heraus damit, oder ich schlage zu!» Da stieg sie zitternd in den Keller und hohe den Knaben herauf. Der Mörder zog sein grosses, blank geschliffenes Messer. Der Knabe fiel auf die Knie und flehte, er möchte, bevor er ihn töte, nur einen Augenblick zuhören. Der Räuber schnaubte: «Tritt ein in die Stube, dort wollen wir hören, was du zu erzählen hast!» Der Knabe erzählte von seinem Vater und dem Teufel, der seine Seele gefangen halte, auch dass er bei den Pfarrherren und bei dem Eremiten abgewiesen wurde, und wie er nun von ihm allein noch Rettung erhoffe. Der Räuber besänftigte seinen Zorn, seine rauhen Gesichtszüge glätteten sich, je länger der Knabe erzählte, und als dieser fertig war, sagte er: «Ich werde dir helfen. Geh jetzt ins Bett und fürchte dich nicht, es soll dir kein Haar gekrümmt werden!»
Der Knabe fühlte, dass der Mörder die Wahrheit redete und liess sich in die Kammer führen. Der Räuber blieb noch eine Weile an seinem Platz in tiefes Sinnen versunken, dann speiste er zu Abend, hiess die Frau Käse und Brot in die Kammer des Knaben tragen und ging zu Bette, fand aber den Schlaf nicht. Des Knaben Unschuld und der ungestüme Drang nach Befreiung seiner Seele hatte Saiten in dem alten Sünder erweckt, die seit seiner Jugend nicht mehr erklungen hatten. Die Gier nach Menschenblut war auf einmal von ihm gewichen.
Am nächsten Morgen überreichte er dem Knaben eine geweihte Kerze und ein Kreuz und wanderte mit ihm zum Höllentor. Dort gebot er ihm, das Kreuz fest ans Tor zu schlagen, damit es kleben bleibe und niemand weder heraus noch hinein gehen könne. Kaum war das gemacht, so entstand im Berg drin ein entsetzlicher Lärm, ein Gepolter und ein Geschrei, und auf einmal rief eine Stimme ganz dicht hinter der Tür: «Tut mir das Wiriwäri weg!» Der Knabe rief: «Nicht eher, als bis ihr mich und den grossen Mörder loslasst!»
Das Geschrei legte sich wie auf ein Zeichen, man hörte nur noch dumpfes Gemurmel, und nach einer Pause tönte es dicht hinter der Pforte: «Wir wollen von dir und dem grossen Mörder nichts mehr wissenl»
Da flog ein seliges Lächeln über die Züge des Mörders; er entfernte das Kreuz und vergrub es in seiner Tasche. Dann führte er den Buben an der Hand denselben Weg zurück zu seiner Hütte. Auf dem ganzen Weg sprach er kein Wort; seine Brust hob und senkte sich, und er atmete tief und schwer, legte sich zu Hause auf eine Bank wandte den Blick hilfesuchend nach oben und starb. Er hatte so schwere Reue über seine Missetaten empfunden, dass ihm das Herz in drei Stücke zersprungen war.
An diesem Tage wartete der Waldbruder umsonst auf das Himmelsbrot. Als der Himmelsbote es am nächsten Tage wieder brachte, fragte er ihn, warum es gestern ausgeblieben sei. Da sagte der Engel: «Gestern ist deinem Bruder, dem grossen Mörder, vor Reue das Herz gesprungen, und darüber war solche Freude im Himmel, dass wir ihn alle hinaufbegleitet haben!» Da machte der Waldbruder ein saures Gesicht. «So, alle! Wie viele Engel werden dann mich hinaufgeleiten?» Der Engel lächelte und sagte: «Vielleicht werden es drei, vielleicht auch weniger sein!» Da schlug der Eremit auf den Tisch und rief in heller Empörung: «So, ich lebe als frommer Eremit in strengster Zurückgezogenheit und werde einmal nur drei Engel zur Begleitung erhalten, und mein Bruder, der lasterhafte Mensch und grosse Mörder ist von dem ganzen Engelschor umringt worden. Da will ich lieber mit drei Teufeln in die Hölle fahren, als mit drei Engeln in den Himmel!» Da verschwand der Himmelsbote, ein Blitzen und Krachen erfolgte, die Erde öffnete sich und verschlang den Waldbruder samt seiner Klause.
Der Knabe aber hat die Botschaft von seiner Erlösung nach Hause gebracht, wo man dankte und jubelte und sich vor Freude lange nicht zu fassen vermochte.
Quelle: Johannes Jegerlehner: Walliser Sagen, Hans Feuz Verlag Bern, 1959
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.