Die Sage vom Hüttnersee
Es war vor vielen hundert Jahren. Da gab es noch keinen Hüttnersee. An seiner Stelle dehnte sich ein finsterer Tannenwald aus, durch den der alte Pilgerweg nach Einsiedeln führte. Mitten im Gehölz konnte man das Plätschern einer Quelle vernehmen, deren Wasser sich aus einem uralten Holztüchel ergoss. Das war der Pilgerbrunnen. Gerne erlabten sich hier die Wallfahrer im kühlen Schatten nach ihrer langen Wanderung, bevor sie den letzten Anstieg gegen die Schindellegi hinauf unter die Füsse nahmen.
Einst langte am Abend spät ein müder Pilger bei diesem Brunnen an. Er setzte sich neben dieser Quelle nieder, um etwas auszuruhen. Kaum hatte er sich auf dem weichen Moospolster des Waldbodens niedergelassen, als plötzlich ein Greis mit langem, weissem Bart aus dem Waldesdunkel vor ihm auftauchte. Er trug auf seinem Rücken ein Bündel Riedbesen, die r aus den langen Halmen der Riedbesenstreu kunstvoll gezöpfelt und geknüpft hatte. Weil er seit Jahrzehnten alljährlich aus dem Hochtal von Einsiedeln mit seinen Besenbündeln ins Zürichbiet herunterkam, war er dort unter dem Namen „Beselimaa“ bekannt.
Im Laufe des Gespräches, das die beiden anknüpften, erkundigte sich der Besenmann nach den Reiseplänen des Pilgers. Dieser erklärte ihm, dass er noch heute bis nach Maria-Einsiedeln weiter wandern werde, um am übernächsten Tage wieder auf demselben Wege zurückzukehren. Da lachte der Greis laut auf und sprach: „Ja du hast gut sagen! Wenn du übermorgen wieder auf diesem Weg zurückkehren willst, wirst du deinen Durst nicht mehr an diesem Brunnen stillen können. Frage mich aber nicht weiter, Gott sei mit dir, leb wohl.“ Dann verschwand der Greis. Nachdenklich setzte der Pilger seinen Weg fort.
Als der Wallfahrer am zweitfolgenden Tag wiederum auf demselben Weg zurückkehrte, da wartete seiner eine grosse Überraschung. An Stelle des Waldes, den er vorgestern noch durchschritten hatte, breitete sich eine dunkle Seefläche vor ihm aus. Das Gehölz samt dem Pilgerbrunnen war in der Tiefe gesunken. Nur rings am Ufer gewahrte er noch hie und da Wipfel und Äste halbertrunkener Tannen aus dem Wasser ragen.
Bis vor wenigen Jahrzehnten glaubten die Umwohner des Seeleins, es sei unergründlich und haben einen unterirdischen Ausfluss, der bei Wädenswil in den Zürichsee münde.
Quelle: K. W. Glaettli, Zürcher Sagen 1970, Stadt Zürich und Zürichsee
Walter Höhn-Ochsner im Neujahrsblatt der Lesegesellschaft Wädenswil 1942, S. 17
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.