Ritter Goldbart

Land: Schweiz
Kategorie: Zaubermärchen

Einst erschien im Vispertal auf stolzem schwarzem Pferde ein Ritter, der gar vornehm aussah und den niemand kannte. Die Zügel des Pferdes waren aus feinstem rotem Leder geschnitten, und der Sattel war mit breiten Goldstreifen besäumt. Auf dem Kopf trug er einen silbernen Helm mit Adlerfedern, und sein Gesicht schmückte ein Bart, der aus den dünnsten Goldfäden gewoben schien. Alle Mädchen verschauten sich in diesen Ritter, und er konnte gar schön tun mit allen, Schmeichelworte an sie richten, und reich musste er sein wie ein Fürst, denn jeden Tag zog er Geschenke aus der Tasche, die er bald an diese und bald an jene austeilte.

Er wohnte im grössten Hause des Dorfes, und dieses Haus ge­hörte einer Familie, die einen erwachsenen Sohn und drei wunder­schöne Töchter besass. Die zwei ältern waren bei den Leuten ver­hasst wegen ihres Hochmutes, die jüngste aber ihrer Lieblichkeit und Bescheidenheit wegen geliebt und hoch geehrt. Sie liebte die Musik und spielte des Abends oft auf ihrem Hackbrett so lieblich und fein, dass der Vogelsang verstummte und der Talfluss nur ganz leise da­hinrauschte. Der Ritter scherzte mit den drei Schwestern und neckte sie, nahm bald die eine, bald die andere auf die Seite, so dass jede glaubte, die Auserwählte seines Herzens zu sein. Jeder flüsterte er ins Ohr, sie sei seine Liebste, dürfe es aber den andern nicht verraten, und sie glaubten es ihm alle drei und hüteten das Geheimnis vor­einander. Das Zimmer des Ritters lag über dem der jüngsten Tochter, die ihn jeden Morgen, wenn er aufstand, mit dreierlei Stimmen sin­gen hörte. Etwas so Liebliches und Kunstvolles hatte sie noch nie gehört; das klang schöner als das Saitenspiel des Hackbretts, und sie wünschte von ganzem Herzen, auch so singen zu lernen. Sie hatte lange nicht gewagt, mit dem Ritter darüber zu sprechen, aber als er sie auch seine Liebste nannte und seine Braut und sie verstohlen küsste, ruckte sie heraus mit der Sprache und bat ihn, sie auch mit dreierlei Stimmen singen zu lernen. Er streichelte ihr die Wangen und sagte: «Morgen nachmittag gehen wir zusammen spazieren, mein lie­bes Bräutchen, hoch in den Wald hinauf. Dort werde ich dich singen lehren, dass du vor deinem eigenen Gesang verstummen wirst! » Des freute sie sich sehr und mochte den folgenden Tag kaum erwarten.

Am nächsten Morgen lief sie das Dorf auf und ab und plauderte es überall aus, jetzt werde sie bald auch singen können wie der Ritter, er hätte es ihr versprochen, und ein Ritter werde sein Wort halten. Den zwei andern Töchtern hatte Ritter Goldbart dasselbe versprochen, und nun führte er am Morgen in aller Frühe die älteste mit sich in den Wald hinauf. Sie hing sich an seinen Arm, blickte hochmütig herum und war des Jubels voll. Auf einmal hiess er sie niederknien. Er band ihr einen Strick um den Hals und hing sie am Baume auf. Dann ging er hinunter ins Dorf und holte die zweite Schwester, die schon sehnsüchtig auf ihn gewartet hatte und nicht ahnte, welch schrecklichem Schicksal sie entgegenging. Mit schönen Worten lockte er sie in den Wald, schlang ihr das Seil um den Hals und knüpfte sie neben der Schwester an den Baum. Nach dem Mittagessen führte er die dritte und jüngste zum Spa­ziergang. Sie lachte und sprang wie eine Gemse, freute sich des Lebens und malte sich aus, wie herrlich es sein werde, wenn sie wie der Ritter nun bald mit dreierlei Stimmen singen könne. Er führte sie am Arm und plauderte ihr die schönsten Geschichten vor.

Mitten im Wald änderte er plötzlich seine Stimme und hiess sie niederknien. Sie erschrak, faltete die Hände und blickte zum Him­mel auf. Da schaute ihr Auge die beiden Schwestern, die tot am Baume hingen. Sie stiess einen durchdringenden Schrei aus, rang die Hände und flehte um Gnade. Der Ritter aber sagte:

«Du musst jetzt sterben.

Zwei hangen an der Tanne, und die dritte musst du werden!»

Als sie sah, dass ihr Flehen den Unhold nicht rührte, bat sie, drei Schreie tun zu dürfen, bevor er sie töte. Er entgegnete mit einem höllischen Grinsen: «Sing nur, mein Täubchen, es wird dir doch nichts nützen!»

Sie waren im dichtesten Wald, wo die Lärchenbäume nahe bei­sammen standen und jede Aussicht gegen das Dorf hin verdeckten. Sie tat den ersten Schrei und rief:

«Vater, komm geschwind und gar bald,

Sonst muss ich sterben im Wald!»

Alles blieb still, der Ritter stand unbeweglich neben ihr mit dem Seil in der Hand; auf dem Geäste sang ein Vöglein das Abendlied. Sie seufzte tief auf und rief zum zweitenmal:

«Ach Mutter, komm geschwind und gar bald,

Sonst muss ich sterben im Wald!»

Durch die Stämme rauschte der Wind ganz leise, und in der Ferne hörte man ein Jagdhorn. Sie blickte in die steinharten Gesichtszüge ihres Mörders, der ihr deutete, sich zu beeilen und tat den dritten Schrei:

«Ach Bruder, komm geschwind und gar bald,

Sonst muss ich sterben im Wald!»

Ihre Knie zitterten, und voller Entsetzen blickte sie auf den Mann, der die Schlinge auseinanderfaltete. Da stürzte jemand durch das Gebüsch; das war ihr Bruder. Er kam von der Jagd und hatte den Schrei gehört. Als er seine Schwe­ster vor dem Ritter knien sah, totenblass und zitternd wie die Tannen­nadeln, rief er aus:

«Den Lohn, den will ich dir geben,

Lass du meine Schwester am Leben!»

Er schlug die Büchse an und schoss dem Mädchenmörder mitten durch den Kopf. Dann führte er die immer noch schauernde Schwe­ster an der Hand nach Hause und sagte:

«Hier kannst du leben und bauen,

Aber sollst keinem Ritter mehr trauen!»

Am nächsten Tag wurden die ermordeten Schwestern auf dem Gottesacker bestattet.

 

Quelle: Johannes Jegerlehner: Walliser Sagen, Hans Feuz Verlag Bern, 1959

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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