Ein junges Ehepaar war betrübt, dass ihm keine Kinder beschert wurden. Der Mann war Schmied und besass eine gute Kundschaft, aber die Freude an der Arbeit schwand allmählich, und er murrte über das Schicksal, das ihm versagte, was andern in so reichem Masse zuteil wurde. Eines Tages, als er wieder neben dem Amboss brütete und gar traurig über seine Arbeit weg schaute, warf er in seinem Missmute das Schurzfell weg, ging hinauf in die Stube, zog das Sonntagsgewand an, verliess seine Frau, ohne sie noch einmal zu grüssen und zog zum Dörfchen hinaus in die Fremde. Er wollte in alle Ferne gehen, wo ihn keine Seele kannte. Hätte er nur geahnt, wie bald sein Wunsch in Erfüllung gehen sollte, wahrhaftig, er wäre zu Hause geblieben!
Als er erst durch einen langen Wald, dann stundenlang durch Felder und Wiesen gewandert war, kam er in ein Dorf, wo er sich bei dem Schmiedemeister als Arbeiter einstellen liess. Hier schaffte er ein Jahr lang, bis ihn eines Tages jemand anredete: «Wie geht es dir, Hannes?» Da sagte er für sich: «Hier bleibe ich nicht, wenn man mich kennt!» Er liess sich den Lohn auszahlen und zog wieder fort, weit, weit, bis er müde von dem vielen Marschieren bei einer Schmiede Halt machte und um Arbeit fragte. Dem Schmied war kürzlich der beste Geselle gestorben, und so war er froh, einen neuen zu erhalten, der ihm schon auf den ersten Blick sehr gut gefiel. Bei diesem Meister blieb Hannes nun volle zwanzig Jahre lang und vergass darob seine Frau und die Heimat. Da träumte er plötzlich drei Nächte von ihnen, vom Heimatdorf und von seiner Frau. und eine Stimme rief ihm zu: «Geh heim, geh heim, es ist dein Glück!» Er dachte, das werde wohl seine Bedeutung haben und fragte den Meister, was er tun solle. Dieser riet ihm, der Stimme zu gehorchen, denn wenn man dreimal dasselbe träume, so sei das ein Wink, ein Fingerzeig, dem man gehorchen müsse. Was er nun vorziehe, den Lohn für zwanzig Jahre oder drei gute Ratschläge.
Der Schmied besann sich ein Weilchen und dachte, drei gute Ratschläge von seinem Meister, den er in hohen Ehren hielt, würden ihm wohl mehr nützen als Geld, deshalb sagte er, die drei guten Ratschläge seien ihm lieber. Der Meister erwiderte mit leuchtenden Augen: «Mein lieber Freund, gut hast du gewählt, und du sollst die Ratschläge hören. Sie bedeuten dir jetzt vielleicht wenig, aber befolge sie nur, und du wirst es nicht bereuen. Zum ersten, meide die Abwege, folge immer der guten, breiten Strasse; zum zweiten, sei nicht neugierig und zum dritten, strafe nicht im Zornl Das ist alles, was ich dir zu sagen habe, nun zieh im Frieden und gedenke deines alten Meisters!» Er schenkte ihm ein Pferd als Draufgeld und ein Brot als Wegzehrung, dann nahmen sie Abschied.
Der Schmied ritt in der Morgenfrühe davon, und schon wollte es ihn gereuen, die Ratschläge dem grossen Lohn vorgezogen zu haben. Da traf er mit zwei Handwerksburschen zusammen, die dieselbe Strasse zogen und ebenfalls beritten waren, wenn sie auch nicht auf einem so schön gesattelten Pferde sassen wie er. Sie sangen ein fröhliches Lied und luden ihn ein, mitzuwandern. Das war ihm recht, zu dreien schien der Weg kürzer, und die Zeit eilte schneller von dannen. Bald erreichten sie eine Stelle, wo ein Fussweg von der Strasse abbog. Die Kameraden behaupteten, dieser Fussweg führe schneller zum Wirtshaus, wo sie alle drei übernachten müssten, der Schmied aber besann sich auf den ersten Rat seines Meisters und entgegnete: «Ich bleibe auf der Landstrasse; da reitet es sich gut, und auf ein Stündchen später oder früher kommt es mir nicht an!» «Wirst wohl nicht so dumm sein und den witen Umweg machen wollen», riefen sie aus, «jetzt bricht die Nacht herein, und auf dem Fussweg langen wir grad tags noch an!» Der Schmid schüttelte den Kopf, beharrte auf seinem Entschlusse, den er im geheimen selbst ein bisschen dumm fand und ritt seine Strasse.
Spät abends langte er an dem einsam im Walde gelegenen Wirtshause an. Er stellte das Pferd ein, bestellte das Abendessen und fragte nach den beiden Gesellen. Der Wirt, ein kleines Männchen mit feuerrotem Bart und kleinen, tief liegenden Augen sagte, sie seien vor einer Stunde schon angekommen und bereits zu Bette gegangen. Er führte ihn in eine Stube, wo sich kein Mensch befand; nur eine alte Uhr, auf deren Zifferblatt der Tod mit der Sense gemalt war, tickte an der Wand. An der Decke hingen die Fliegen so zahlreich wie die Sterne am Himmel. Nach einer halben Stunde trat der Wirt herein und meldete, das Essen sei bereit. Er ging zu dem Schrank, drehte den Schlüssel und liess ein altes Mütterchen heraus, dem er befahl, aufzuwarten. Die Alte brachte in einem Totenschädel die Suppe herein, und nun wusste der Schmied, was er schon längst geahnt, dass er in ein Räuberhaus geraten sei. Er dachte, die Weggefährten seien ermordet worden und ihm werde es nicht besser ergehen. Doch bezähmte er seine Neugierde, fragte nicht mehr nach ihnen und liess sich das Abendessen schmecken. Da kam der Wirt herein und forderte ihn auf, mit ihm in den Keller zu steigen und von dem Weine zu kosten; er hätte unlängst ein paar neue Fässer erhalten und möchte gerne hören, was sein Gast dazu sage. Stumm und ohne Zaudern folgte er der Einladung, stieg mit dem Rothaarigen die dunkle, muffige Treppe hinunter, wobei er dachte, seine letzte Stunde sei gekommen, und kostete von jedem Fass einen Holzbecher voll. Als der Wirt ihn zum Schluss fragte, welche Sorte ihm am besten geschmeckt habe, sagte er, «die letzte!» Da verkniff der Rote die Augen und meinte in spassigem Ton: «Mir auch! Höre Freund! Du gefällst mir gut. Weil du deine Neugierde bemeistert hast, so will ich dir bekennen, dass du in eine Mördergrube geraten bist; der rote Wein, den du soeben gekostet und so herrlich gefunden hast, ist reines Menschenblut!» Der Schmied zuckte zusammen und schaute nach der Tür, doch war an eine Flucht nicht zu denken, denn die Tür war geschlossen. «Machs kurz», sagte er tonlos, «ich bin in deiner Gewalt!» Der Wirt aber fuhr fort: «Deine Kameraden sind tot, ich habe sie umgebracht, weil sie überall ihre Nasen hineingesteckt haben, du aber fürchte dich nicht, es soll dir nichts geschehen; du bleibst hier über Nacht, und morgen früh werde ich dir sicheres Geleite mitgeben, denn im Walde wimmelt es von Räubern, die alle unter meinem Kommando stehen!» Dann führte er den Schmied, den es immer noch fröstelte und schauderte, die Treppe hinauf ins Zimmer und wünschte gute Nacht. Das war ein frommer Wunsch! Die ganze Nacht konnte der Schmied kein Auge schliessen. Die Tür hatte er fest verrammelt, obschon er wusste, dass der Tisch und die paar Stühle nicht hindern könnten, dass man ihn umbringe. Halb wach, halb träumend lag er auf seinem Bett, als plötzlich der junge Tag durchs Fenster brach und es ihm leichter ums Herz wurde. Er schloss die Augen und schlummerte ein. Nach einer Weile klopfte es an die Tür. Er fuhr auf und kleidete sich an. Als er öffnete, stand der Wirt draussen mit dem Speisebrett, auf dem er das Frühstück hereintrug. Mit einem Lächeln auf den Lippen ging er zum Schrank und liess das Mütterchen heraus, damit es den Gast bediene. Dann öffnete er ein Fenster und liess einige grelle Pfiffe ertönen. Sogleich eilten vier Räuber mit wilden Mordgesichtern herbei. Der Wirt gebot ihnen, den Gast bis an den Rand des Waldes zu geleiten, dann übergab er dem Schmied die Pfeife, auf der er soeben geblasen, mit den Worten: «Wenn dir Gefahr drohen sollte, so brauchst du nur zu pfeifen, und die unsrigen werden dich sofort als einen der ihrigen erkennen und dir kein Haar krümmen!» Die Räuber geleiteten den Schmied durch den Wald und noch ein Stück weiter, wiesen ihm den Weg, nahmen ihm die Pfeife wieder ab und verabschiedeten sich. Der Schmied atmete auf und schlug einen raschen Trab an, denn es zog ihn zu seiner Frau, der er seit einundzwanzig Jahren nie ein Lebenszeichen gegeben hatte. Ob sie wohl noch lebte?
Als er das Heimatdörfchen erblickte, schwang er den Hut und gab dem Pferde die Sporen. Da es unterdessen Abend geworden war, wollte er nicht mit der Tür ins Haus fallen und seine Frau erschrecken. Er stieg deshalb im Wirtshaus ab, bestellte sein Abendbrot, ging früh zu Bette und schlief bis in den hellen Tag hinein. Als er ans Fenster trat und über die Strasse hinschaute, gewahrte er auf der andern Seite ein Haus, das war seine alte Schmiede; das Fenster der Wohnstube war offen, und in der Stube erkannte er trotz der Entfernung seine Frau. Zu ihr trat ein junger Mann im schwarzen geistlichen Gewande, der sie herzlich begrüsste und küsste. Der Schmied zuckte zusammen: «Was ist das? Jetzt ist mir meine Frau untreu geworden!» Er ergriff in hellem Zorn sein Gewehr und schlug an. Aber da fiel ihm der dritte Rat seines Meisters ein, nicht im Zorn zu strafen. Er liess das Gewehr sinken und ging hinunter in die Wirtsstube, wo schon viele Leute versammelt waren. Er tat, als ob er hier fremd wäre und fragte die Wirtsleute, die ihn nicht erkannten, was heute im Dorf los sei, warum so viele Menschen im sonntäglichen Staate zusammenströmten und die Häuser mit bunten Wimpeln und Kränzen geschmückt seien?
Der Wirt sagte: «Uns gegenüber, nur über die Strasse, wohnt die Frau des Schmied-Hannes, der so gut wie begraben ist, denn seit zwanzig Jahren und mehr ist er verschollen und hat nie ein Lebenszeichen von sich gegeben. Kurz nach seinem Wegzug hat sie einem Söhnchen das Leben geschenkt; das hat sie gut erzogen, hat es studieren und zum Geistlichen heranbilden lassen, und nun liest der Sohn heute die erste Messe. Das ist eine Ehre für uns alle, darum gibt der Gemeinderat ein grosses Essen!» Der Schmied sah ein, welch gute Ratschläge ihm der Meister mit auf den Weg gegeben hatte; er dankte ihm heimlich recht herzlich dafür und fragte, ob er wohl auch an dem Gastmahle teilnehmen dürfe. «Natürlich», sagte der Wirt, «das ganze Dorf ist zu Gaste geladen, und wenn nun heute grad ein Fremder im Dorfe weilt, so ist halt einer mehr und weiter nichts. Wir sind gute Leute und halten GastFreundschaft!»
Als die Messe zu Ende war, setzte sich der Schmied zu den Tafelnden. Da stand der junge Geistliche auf und brachte die Gesundheit aus auf alle, auf seine Mutter und auch auf seinen Vater, wenn er noch lebe. Nun erhob der Schmied seinen Becher und rief mit Tränen in den Augen: «Gesundheit, mein liebes Weib, Gesundheit, mein liebes Kind, ja, da bin ich wieder, euer Vater Hannes!» Da erscholl lauter Jubel, und Vater, Mutter und Sohn begrüssten sich und drückten sich warm die Hände. Jetzt fiel dem Schmied das Brot ein, das ihm der Meister geschenkt und das er noch gar nicht angeschnitten hatte. «Damit ihr wisst, wie fremdes Brot schmeckt», sagte er und schnitt es an. Da gab es einen klingenden Ton, und funkelnde Goldstücke fielen heraus, immer mehr und mehr, und zuletzt lag ein ganzer Haufen auf dem Tisch. Der Schmied zählte das Geld und sagte: «Das ist grad der Lohn für meine zwanzig Jahre, kein Heller fehlt daran, und nun lasst uns trinken auf das Wohl meines guten Meisters!"
Quelle: Johannes Jegerlehner: Walliser Sagen, Hans Feuz Verlag Bern, 1959
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.