Oftmals sieht man von den sog. Pfaffen-Ställen, welche ungefähr in der Mitte der Castieler-Felder liegen, eine weissgekleidete Gestalt, mit schwarzer Schürze, der Kirche zusteigen. Einige wollen wissen, das sei der Geist eines, in Nonnenkleidern wandernden Mönches, der bei den genannten Ställen einen Schatz hüte, und dann immer wieder zur Kirche hinauf gehen müsse, um dort für seine endliche Erlösung zu flehen. Allgemein hält man diese Gestalt aber doch für eine Nonne, die umgehen muss. Dass sie noch eine schwarze Schürze trägt, lasst erkennen, dass sie noch eine gute Weile zu geistern hat. Ist aber auch die Schürze weiss geworden, so ist ihre Erlösung nahe.
Zwei Burschen waren eines Abends zwischen 9-10 Uhr auf dem Wege, der von den Pfaffenställen an heraufführt, begriffen, und plauderten. Sie vernahmen Etwas hinter ihnen, drehten sich um, und gewahrten, wie die Kirchenjungfrau den gleichen Weg heraufkam. Schnell liefen sie in ein nahe stehendes Haus, in welchem der »Hengert« (Gesellschaft der Ledigen) beisammen war. Dort meldeten sie, die Kirchenjungfrau komme den Weg durch die Güter herauf. Alle stürzten an die Fenster, und Jedes sah nun selber die Wandernde, welche der Kirche zuschwebte. Dann erblickten sie erstlich in der Kirche, und eine Weile darauf im Beinhause Licht. - Einer von der Gesellschaft wollte hin, um zu sehen, was der Geist mache, aber die Andern liessen ihn nicht gehen.
Ein andermal sah ein Mann, der etwa um 4 Uhr früh Morgens neben der Kirche vorbeiging, um sein Vieh zu füttern, Jemanden mit einem Lichte in die Kirche gehen. Er glaubte, es sei die Messmerin, die, wie gewohnt, um diese Zeit »z'Tag lüten« (den Tag anläuten) wolle. Wie er nun aber keinen Glockenton vernahm, war er fest überzeugt, dass dies das »Kilcha-Wibli«, wie die Kirchenjungfrau auch genannt wird, gewesen sei.
Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.