In der Alpe Tschuggen oberhalb Langwies spaltete ein Mann Latten zu einem Zaune, und wie er denn so emsig arbeitete, wurde er auf einmal von einer unheimlich aussehenden Figur angeredet. Es überfiel ihn die Furcht, und doch durfte er nicht fliehen, denn das hatte sein »Hinter-Ehni« (UrGrossvater) schon erzählet, dass, wenn so Was Einem »komme«, es das Beste sei, zu bleiben, und dass durch einen »Pfiff« (List) alleine man sich retten könne. So blieb er, und dachte im Arbeiten nach, wie er das böse Ding wohl los werden könne.
Nach einer Weile fragte er die Wald-Fänggin (denn das war eine Solche), wie sie heisse. Aber die Fänggin oder die Wald-Mutter (wie man diese Wald-Weiblein auch benamset) meinte listig zu sein, indem sie ihren rechten Namen verschwieg, und lächelnd einen Andern, »Selbthan« angab. Wie der Mann eine neue Latte zur Hand nahm, fragte er die Wilde, ob sie ihm helfen wolle. Richtig war sie dazu bereit und hielt ihm die Latte auseinander. Nicht faul zog der Mann die »Wegge« (Bisse, Keil) heraus, und die Fänggin war eingeklemmt. Der Mann flüchtete eilends, rief aber spottend noch zurück: »Selbthan, Selbthan.«
Balde aber hörte er viele Fänggen dem heulenden Weiblein zu Hilfe kommen, und die setzten ihm unverweilt nach. - Hätte er nicht eben den Waldessaum hinter sich gehabt, wäre er in deren Gewalt gefallen, und sie hätten ihn »z'Huderen« (Fetzen) zerrissen.
Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.