Die grosse Glocke im Kirchturme zu Sarn gehörte ehemals der Gemeinde Tschappina, und diese Gemeinde verkaufte sie den Bürgern von Purtein. Sarn machte dann auch Ansprüche auf die Glocke, und so gerieten Purtein und Sarn in Zwistigkeiten dieser Glocke wegen. Von beiden Seiten wurde Rat gepflogen, wie man wohl in den Besitz der Glocke kommen oder bleiben könne. Die Bürger von Sarn wurden nun einig, mehrere Männer um Mitternacht nach Purtein zu schicken; Die sollten die Glocke vom Turme daselbst herunternehmen und sie nach Sarn bringen. Die dazu bestimmten Männer gingen nach Purtein, und es gelang ihnen wirklich, die Glocke, ohne von Jemandem gespürt zu werden, unbeschädigt vom Turme herunter zu lassen. Sie legten die Glocke auf eine »Schleife« und zogen sie Sarn zu.
Mit der Glocke am Purteiner-Tobel angelangt, erschien ihnen eine riesige, feuerrote Katze. Die suchte ihnen immer vorzukommen. Sie ahnten Gefahr, weil sie in dieser Katze eine Hexe vermuteten. Einer von ihnen suchte sogleich einen tüchtigen Prügel, um die Katze hinter sich zu halten. Wenn sie darnach trachtete, ihnen zuvor zu kommen, so drohte er, mit seiner Waffe sie zu töten; ihr einen Streich zu versetzen, wagte er doch nicht. So kamen sie glücklich mit der Glocke in Sarn an.
Noch in derselben Nacht wurde sie in den Glockenturm hinaufgezogen und für den andern Tag zum Läuten vorbereitet. Während der ganzen Arbeit war die Katze immer bei ihnen, verschwand aber, sobald sie fortgingen. Kaum hatten sich jene Männer zur Ruhe gelegt, als diese Glocke gewaltig geläutet wurde. Einige Burschen liefen mit den Männern, die die Glocke geraubt, herbei, um den Ruhestörer zu fangen. Im Turme fanden sie aber Niemand mehr. Sogleich eilten sie durch das Feld gegen Purtein hin. Da erblickten sie ein altes Weib, in vollem Laufe vor ihnen her fliehend. Sie kehrten darauf zurück.
Am Morgen wurden dann weitere Untersuchungen angestellt, und es fand sich, dass die Glocke mit einem Faden umwunden war, an dem sie geläutet wurde. Die Glocke wurde von ihnen wiederholt geläutet, aber sie hatte ihren schönen Klang verloren. Sogleich liess die Gemeinde die Glocke in gleich grosse Form und Verzierungen umgiessen. Seither soll sie aber nicht einen so schönen hellen und weithin vernehmbaren Klang haben.
Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.