Ob Flims stand eine grüne Alp
In ferner Sagenzeit;
War einer Witwe Eigentum.
Ein reicher Mann hatt' um und um
Wohl manche fette Weid'.
»Nie werd' ich geben euch die Alp,
Sie ist mein einzig' Gut.«
»Seht! Zwiefach zahl' ich sie jetzt euch.«
»Ob zwiefach, zehnfach - alles gleich)
Es ist des Sohnes Gut!«
»Und woll't ihr nicht, die schöne Alp
Muss doch noch werden mein!
Seh't hier den Schuldbrief; euer Mann
Hat mir ihn selbst gefertigt an,
Verpfändet die Alpe sein!« -
»Nie hat er euch die schöne Alp
Verpfändet, falscher Mann!
Er spart' für seinen Sohn sie auf,
Hat nie geschlossen solchen Kauf.«
»Und doch hat er's getan!«
Sie gingen vor den Richter gleich,
Zu schlichten ihren Streit;
Der Richter war dem Reichen hold,
Der ihn erkauft' um schnöden Sold,
Zu jedem Spruch bereit. –
Da nützte nicht der Witwe Schwur,
Der Witwe Klag' und Leid;
Es nützte all' ihr Flehen nicht:
Der harte, reiche Bösewicht
Gewann den falschen Streit. –
»Schon seit drei Tagen ist sie mein,
Und hab' sie nicht geseh'n;
Denn Regen rasselt, Donner rollt,
Und in den Bergen tost‘s und grollt,
Und laute Stürme weh'n.« -
Doch als der Himmel sich erhellt',
Die Sonne wieder schien,
Da eilt' er fort in schnellem Lauf,
Und als er kam den Berg hinauf,
Fiel er zur Erde hin. –
Denn wo der Witwe Alp gegrünt,
War Alles blau und weiss,
Und auf das weiden reiche Feld,
Von unsichtbarer Hand gestellt,
Ein Berg von lauterm Eis.
Es steht noch jetzt der Eiskoloss,
Ein Warn er aus jener Zeit;
Er steht allein, doch um und um
Da blühen fort noch Gras und Blum'
In grüner Fröhlichkeit.
Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.