Hans Korber

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Vor sehr langer Zeit, als der Jura noch ganz mit dichten Wäldern bewachsen war, lebte in Les Bayards in einem einsamen Bauern­haus inmitten schwarzer Tannen ein Korbflechter, dessen eigentlichen Namen niemand wußte, denn alle nannten ihn nur Hans Korber. Er konnte besser als alle anderen Wäschekörbe, Henkelkörbe für die Hausfrauen und grobe Körbe für das Holz flechten. Aber vor allem war er als Musikant geschätzt: wenn er seine Klarinette an die Lippen setzte, fuhr es den Leuten in die Beine, selbst denen, die gar nicht tan­ zen konnten. Und da die Bewohner des Nachbardorfes Les Verrieres ausgezeichnete\' Tänzer waren, scheuten sie nie den bösen und steilen Weg zu Hans Korber, um ihn zu bitten, doch am nächsten Fest oder Ball aufzuspielen. Eines Tages, ich glaube es war im Februar, klopften zwei Burschen an seine\' Tür: »Gesundheit, Hans Korber}- - »Einen guten\' Tag wünsche ich euch, Freunde«, antwortete der Klarinettist. »Ihr habt sicher kalt? Ich habe Pantoffeln an die Wärme gestellt, ihr braucht nur eure Schuhe auszuziehen.« - »Vielen Dank, aber wir ha­ ben nicht allzu viel Zeit. Wir möchten dich wegen einer Hochzeit fra­ gen, auf nächsten Sonntag in Les Verrieres.. - »Das läßt sich machen. Wann soll ich dort sein?« - »Sieben Uhr abends.« - »In Ordnung, ich komme! Mögt ihr einen Enzian?« - »Da sagen wir nicht nein! Heute beißt der Wind, bei der Bise! Wenn die anhält, haben wir zur Hochzeit Sonnenschein. «

Am Sonntagabend ließ Hans Korber die Hochzeitsgesellschaft tanzen wie noch nie: immer drei Runden lang. Er begann mit einem munteren Walzer, fuhr fort mit einem besessenen Kontertanz und schloß mit ei­ ner »Mouflerine«, um die erschöpfteri Tänzer nochmals hopsen zu las­ sen - und so ging das die ganze Nacht hindurch. - So gegen zwei oder drei Uhr morgens verließen die letzten den Saal. Die Wirtin war begei­ stert und sagte: »Vielen herzlichen Dank, Hans Korber. So habe ich schon lange nicht mehr getanzt! Aber bleib doch hier über Nacht. Draußen herrscht eine teuflische Kälte. Hör nur, wie die Dachschin­ deln quietschen: man sagt, dann seien die Wölfe unterwegs.« - »Ich habe keine Angst«, antwortete Hans Korber und versorgte seine Kla­ rinette in einer seiner großen Manteltaschen. »Schaut nur, wie schön und fest der Schnee ist- ich laufe wie der Wind zu mir hinauf.« - »Aber nimm doch wenigstens diese Körbchen voller Waffeln mit, die von der Hochzeit noch übrig sind: für dich und deine Familie!« Hans Korber stopfte die Waffeln in seine Taschen, trank noch einen großen Schluck Enzianschnaps und ging in die Nacht hinaus.

Er wanderte beschwingt und munter. Etwa eine Meile hatte er bergauf und durch den Wald zu gehen; er vermied Abkürzungen und hielt sich an den Weg. Der Schnee knirschte unter seinen Füßen; im Mondschein glitzerten die Eiskristalle wie Diamanten. Solange der Weg noch durch das Dorf führte, ging alles gut, aber als Hans den letzten Misthaufen von Les Verrieres hinter sich gelassen hatte, schien es ihm, als bewege sich etwas dort hinten; doch dachte er, es hätte ihm wohl vor den Au­ gen geflimmert. Als er in den Wald kam, spürte er die Gegenwart eines Wesens deutlich hinter sich. Er drehte sich um, und es schien ihm, als folge ihm ein schwarzer Schatten. Er ging weiter - der Schatten folgte ihm. Blieb er stehen, dann stand auch der Schatten still. Jetzt war Hans Korber sich im klaren, daß er es mit einem Wolf zu tun habe, einem Tier von gewaltiger Größe: sein heißer Atem strömte wie Dampf aus seinen Nüstern, seine Augen leuchteten wie glühende Kohlen, seine Zähne blitzten wie Messer.

Der Korbmacher war ein tapferer Mann; trotzdem fühlte er, daß seine Haare sich sträubten. Was tun? Weit und breit war kein Haus. Er ging weiter, gefolgt von dem Wolf, der immer näher kam. Plötzlich hörte er ein trockenes Schnappen, direkt hinter sich, das wohl seinem Schenkel gegolten hatte. Hans Korber langte in seine Taschen, fand die Waffeln, die die Wirtin ihm noch zugesteckt hatte und warf eine davon in den Schnee. Der Wolf schnappte das Gebäck und verschlang es. Im Wei­ tergehen warf der Korbmacher immer wieder eine Waffel hinter sich, und das Untier verschlang sie alle. Mit der Zeit erschöpfte sich der Vor­ rat; die weiten Manteltaschen wurden leer, es fand sich keine Brosame mehr. Hans griff in seine Brusttasche: dort steckte seine Klarinette. Ohne zu denken, zog er sie hervor und richtete das Mundstück. Eben setzte der Wolf zum Sprung auf den Mann an - Hans Korber begann zu einem verrückten Kontertanz aufzuspielen: der Wolf hielt im Sprung inne, legte sich nieder mit gesträubtem Fell, die Ohren zurückgelegt, den Schwanz eingezogen. Hans Korber spielte weiter und beobachtete den Wolf aus dem Augenwinkel. Und jetzt sieht er, daß das\' Tier sich wieder erhebt, Kopf und Ohren stellt und mit dem Schwanz wedelt wie ein treuer Hund. Der Korber ging weiter und spielte alle Melodien her, die er konnte: Walzer, Schottisch, Polka, Montferrine. Der Wolf gab ihm Geleit bis zu den ersten Häusern von Les Bayards. Dort hielt er an und schaute dem Korber nach, wie er ins Dorf hineinging; dann

 

kehrte er um und trottete zurück in den Wald mit gesenkten Ohren. Hans Korber fuhr unterdessen fort zu musizieren, so schön und so laut, daß die Dorfbewohner geweckt wurden und überall aus den Fen­ stern schauten. »He! Hans Korber, was ist los? Was musizierst du um diese Zeit? Du hast wohl zuviel Absinth getrunken.« - »Ach, Freunde, wenn es nur der Absinth wäre, der mich spielen lä t! Ich bin ihm schön entwischt! Schuft von einem Wolf, trotz allem! Wenn ich das nur vor­ her gewußt hätte», rief er aus und schlug auf seine leeren Manteltaschen. Und während er nach Hause ging, spielte er weiter auf seiner

 

Klarinette.

Mouflerine/Montferrine = alter Tanz

 

Märchen aus Neuenburg

 

L. Favre, Jean-des-Paniers in “Musée Neuchâtelois 1868,: Die Schweiz in ihren Märchen und Sennengeschichten., R Waldmann, 1983

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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