Der Habersack

Land: Schweiz
Kategorie: Zaubermärchen

An einem heissen Sommertag gieng ein armer, alter Soldat auf der Landstrasse, trug einen Habersack auf dem Rücken und als ganzes Vermögen sechs Kreuzer in der Tasche, drei für den Branntwein und drei für das Brod.

Da begegnete ihm ein gar armseliger Mensch, der um eine Gabe flehte. Unser Soldat, der ein gutes Herz hatte, gab dem Armen ohne Bedenken die Hälfte seines Geldes und gieng weiter. Im Walde begegnete ihm aber eine andere noch traurigere Gestalt, die ebenfalls um eine Gabe flehte. Der Krieger gab seinen letzten Kreuzer und wollte weiter ziehen, als der vermeintliche Bettler sprach: »Der Erste, dem du eine Gabe gegeben, war der heilige Petrus, ich aber, ich bin der Herr, und du kannst dir die Gnade erbitten, die dir behagt.« Da lachte der alte Krieger in den grauen Bart und antwortete: »Topp, Herr, Hand darauf! So ich wünsche, dass Jemand in meinem Habersack sei, soll es geschehen.« »Es sei,« sprach der Herr und verschwand. Am Abend kam unser Soldat in ein grosses, menschenleeres Schloss, in welchem er aber ein prächtiges Essen gerüstet fand, das er sich mit Behagen schmecken ließ; dann sank er auf ein Ruhebett und schnarchte wie ein Bär. Um Mitternacht aber zupfte ihn Jemand an seinem Barte, dass er ärgerlich ausrief: »Ei, wärest du in meinem Habersack,« worauf er weiter schlief. Als unser Held nach alter Gewohnheit mit dem ersten Morgenstrahl sich von seinem Lager erhob und nach seinem Habersack griff, war er bedeutend angeschwollen. Allein der Soldat machte sich nichts daraus und begab sich in die Schmiede, welche er vom Schlosse aus gesehen hatte, und erzählte dem Schmied, wo er die Nacht zugebracht. Darob ward derselbe nicht wenig erstaunt und erzählte dem Krieger, daß er in einem Zauberschloß gewesen sei und Gott danken könne, dass ihn kein Unfall betroffen habe. Da erinnerte sich der Soldat seines angeschwollenen Habersackes, legte diesen auf den Ambos und bat den Schmied, der ein gewaltiger Geselle war, lustig darauf loszuschlagen, bis Alles wieder platt geworden. Das that der Schmied gerne und schwang den großen Hammer, dass der alte Soldat vor Vergnügen auflachte. Als die Beiden aber den Sack öffneten, fanden sie in demselben einen armen, plattgedrückten Teufel, der stöhnend und hinkend von dannen lief.

Nach Jahr und Tag und nach manchem Schabernack starb der Soldat und kam vor das Himmelsthor, wo ihn aber der gestrenge heilige Petrus wegen seiner vielen auf Erden begangenen Sünden abwies, worauf dann unser Krieger unbekümmert den Weg zur Hölle einschlug. Als er aber vor das Gitter der Hölle kam und Einlass begehrte, da schrie ein plattgedrückter Teufel dem Wachthabenden zu: »Den lass nicht herein, sonst drückt er uns Alle platt,« und die Thüre wurde unserm Freund vor die Nase zugeschlagen. Das gefiel aber unserm Kriegshelden weniger; er lief spornstreichs wieder gen Himmel und verlangte zum zweiten Mal Einlass. Der heilige Petrus war aber wieder nicht zu bewegen, so sehr auch der Alte fluchte und tobte. Schon wollte der Himmelswächter das Thor auf immerdar schließen, als sich der Soldat noch im rechten Augenblick seines Habersackes erinnerte, denselben rasch in den Himmelsraum warf und sich selbst hineinwünschte, und wie er gewünscht, ist es geschehen, und unser Soldat marschiert wacker durch die große himmlische Kaserne und ist selber ein großer Heiliger geworden.

Quelle: Jecklin, Dietrich: Volksthümliches aus Graubünden, Teil I, Zürich 1874, in Laus bei Somvix erzählt.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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