Oben am Zürichsee, da wo eine Brücke über das blaue Wasser geht, liegt, den kleinen, reizenden Inseln Ufenau und Lützelau fast gegenüber, das alte Städtlein Rapperswil. Es schmiegt sich eng an einen Hügel, von dem das alte Grafenschloß weit in die Lande und nach den Schneebergen Auslug hält. Obwohl nun die Stadt klein ist und ihre Gärten und Gärtlein, in denen die wundervollsten Rosen blühen, gar ein trauliches Gesicht machen, hat sie doch viele böse Zeiten durchkämpfen müssen und manchen harten Sturm in alter Zeit zu bestehen gehabt.
Einst, als sich die Glarner in der Schlacht bei Näfels mit wilder Tapferkeit für immer von den Herzögen von Österreich freimachten, wurde die kleine österreichische Stadt, die treu zu ihrem Herzog hielt, von den Eidgenossen belagert. Und zwar wehten um das Seestädtchen Rapperswil die Panner von Uri, Schwyz, Unterwalden, Zürich, Glarus, Zug und Luzern; waren auch Kriegsleute von Solothurn da.
Aber trotz dieser ansehnlichen Macht, die ihr gar sehr zusetzte, wollte sich die kleine Stadt nicht übergeben, denn in ihren Mauern hatte sich eine schöne Anzahl von Verteidigern zusammengezogen. Zu den tapferen Bürgern der Stadt hatten sich noch viele Ritter mit ihren Knechten und eine große Schar Genueserschützen und Lamparter (Lombarden) gesellt.
Bald verleidete aber den Eidgenossen das Warten, und da sie sahen, daß das Städtlein nicht auszuhungern war, weil der See ihm reiche Fischnahrung gab, gingen sie am ersten Maitag des Jahres 1388 zum allgemeinen Sturm über.
Es war ein wundervoller Tag, aber brennend heiß wie sonst nur etwa im Heumonat. Da setzten die Eidgenossen der kleinen Stadt mit ihren Büchsen, Blyden, Tummlern, Katzen, Steigleitern, Handwerken und Schirmen gar arg zu. Sie ließen auch mit Harz und Pech bestrichene Schiffe anzünden und an die Stadt laufen. Aber die Besatzung in ihrem Ring wehrte sich mannlich. Sie warf gewaltige Steine auf die Schiffe, löschte mit Wasser und warf, schleuderte und schoß, was und wie sie konnte, wobei die Rapperswiler Frauen die vordersten waren.
Aber auch vom Land her stürmten die Eidgenossen. Und nach langem Mühen gelang es einem Haufen, bei einem Abwasserauslauf ein rechtschaffenes Loch in die Mauer zu treiben. Also gelangten die schweißbedeckten Kriegsmannen auf einmal aus der brennenden Hitze in den kühlen Weinkeller eines Hauses im Mauerring, ohne daß die in der Stadt es bemerkten.
Da hätten sie nun gut stürmen gehabt. Sie hätten nur um Nachzug und Hilfe schicken sollen und derweilen allesamt die Kellerstiege hinauf in die offenen Gassen hineinlaufen müssen, so wäre ihnen das Städtlein gar bald geworden.
Doch sie taten weder das eine noch das andere. Meine stürmenden Eidgenossen witterten sogleich die duftige Tranksame, die in einer ansehnlichen Reihe Fässern an den Wänden lagerte. Und da sie gar sehr von der großen Hitze und der harten Stürmerei dursteten, nahmen sie gemächlich die verbeulten Blechhüte und Sturmhauben ab und ließen den roten, wohlbekömmlichen Wein dareinlaufen. Und da er ihnen wohl mundete und sie vermeinten, noch nie einen besseren Tropfen getrunken zu haben, so vermochten sie sich von diesen roten, kurzweiligen Brünnlein nicht zu trennen. Sie ließen also die Sache gehen, tranken den schönen Wein eimerweise und sturmhaubenvoll und wurden guter Dinge. "Die Stadt ist ja jetzt doch unser", sagten sie sich, "wir müssen ja nur noch die Kellerstiege hinauf, so stehen wir mitten drin." Sie trieben es zuletzt so unbedacht, daß sie zu jodeln anfingen und den Wein in ihren Blechhüten vor die Mauern hinaus den Streitgenossen zutrugen.
Aber unterdessen hatten die merkigen Frauen des Städtleins das Unheil gewittert und herausgefunden, wo der Eimer rinnt. Sie taten sich blitzgeschwind zusammen, verrammelten die Kellertüre gar gewaltig und rissen den Estrich auf. Und auf einmal kam über die zechenden Eidgenossen ein siedendheißer Regen und verdünnte ihnen die schöne Tranksame unverschämt und gottlos. Und als sie sich nun aufrafften und den Kelleraufstieg doch noch erzwingen wollten, ward der Regen zum siedendheißen Wolkenbruch, also daß sie sich wie die Ratten im Kellerloch schleunigst wieder zum Auslauf in der Mauer hinausmachten, durch den sie so weidlich und getrosten Mutes hineingekrochen waren.
Jetzt brachen gar die wohlbewehrten Verteidiger des Städtleins in den Keller hinunter und erstachen und erschlugen noch die paar alten Eidgenossen, die sich an dem schönen roten Brünnlein so stark angefüllt hatten, daß sie's nicht mehr zum Loch hinausbrachten.
Danach füllten die erschrockenen Rapperswiler den gefährlichen Keller mit Steinen und Holzwerk rasch aus, also daß dort an ein Eindringen nicht mehr zu denken war.
Obwohl nun die Eidgenossen währenddessen und nachher bis zum Vesperläuten auf die Mauern von allen Seiten mit ihrem Zeug losgingen, gewannen sie das Städtlein doch nicht, das sie so leicht hätten einnehmen können, wären sie nicht gar so durstig, der Keller nicht zuvorderst und der kühle Wein nicht gar so gut gewesen.
Quelle: Meinrad Lienert, Schweizer Sagen und Heldengeschichten, Stuttgart 1915
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.