Den Namen hat es behalten, obgleich kein Betstuhl, kein Altar an seinen ursprünglichen Charakter mehr erinnert, die Scheidewände zwischen den Zellen schon längst gefallen sind und seine Räume nur mehr profanen Zwecken dienen. Aber immer noch können die einstigen Insassen sich von ihm nicht trennen. Bald jammert und klagt es aus den Wänden, dass sogar die Leute in den Nachbarhäusern erschreckt aufhorchen, bald schlürft es über die morschen Bretter, und es ist, als ob ersterbende Litaneien durch die Räume schwingen würden. Ratten würden ihr Unwesen treiben, behaupten viele und lachen darüber, dass Tote unter den Lebenden weilen sollten.
Einstmals aber sägte ein Mann Holz in dem durch Bretter und Gerätschaften verstellten Raum; da hörte er hinter sich ein sonderbares Geräusch. Er dachte, die Ratten würden wieder ihr Spiel treiben und wunderte sich, dass sie dies in seiner Gegenwart, am hellen Tag wagten. Da glitt von hinten her ein schwarzer Schatten über ihn weg, und wie er aufschaute, stand ein grosser Mann in einer dunklen Mönchskutte neben ihm. Der hob langsam beide Hände und schaute ihn aus grossen, ernsten Augen lange und fragend an, aber aus dem blassen Mund kam kein Ton. Unwillkürlich legte der Mann die Säge zur Seite und zog die Mütze vom Kopf, denn es war ihm klar geworden: Der Prior des Klosters stand vor ihm, und zwar der letzte, der im Antonierkloster seines Amtes gewaltet hatte.
Aus: Hedwig Correvon, Gespenstergeschichten aus Bern, Langnau 1919
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch