Im Emmentale kennt man unterm Namen «Nachtvolk» jenen mit einem Rauschen wie Adlerflug nachts durch die Luft fahrenden Zug düstergrauer Schatten, die im Herbste, wenn die Älpler ins Tal gezogen sind, die verlassenen Sennhütten beziehen und dort ein lautes Leben führen.
Nach der Abfahrt von der Alp Rämisgummen, als man schon mehrere Stunden weit war, bemerkte der Senn, dass ihm eine Kuh fehle. Da man derselben wenige Tage vorher das Kalb weggenommen, nahm er an, sie sei zurückgeblieben, um ihr Junges zu suchen, und sandte einen Knecht zurück, das Tier zu holen. Richtig fand er es, musste aber, da es schon spätabends war, in der Alp übernachten, trieb die Kuh in den Stall und begab sich in das gewöhnliche Hirtenbett, die «Gastern».
Bald hörte er aber das Nachtvolk in die Hütte brausen und sah alle Anordnungen zu einem Mahle treffen, seine Kuh herführen, schlachten und kochen, während ein wilder Lärm die Hütte füllte. Der Knecht, obwohl er vor Angst die Bettdecke über das ganze Gesicht zog, musste dem Lärmen zuhören und war nur froh, dass die Nachtgäste von ihm nichts wussten. Als aber das Volk nun am Essen und im Besten dran war, rief einer: Man muss dem da oben im «Karrbette» auch was geben. Der erschrockene Knecht kroch noch tiefer in sein Bett. Als aber jemand die Leiter hinan stieg und ihm ein Stück gebratenes Fleisch bot, bekam er Mut und dachte: Muss die Kuh mit Stumpf und Stiel aufgegessen sein, so will ich doch auch mithelfen.
Als der Morgen nahte, wurde es still und der Spuk verschwand. Der Knecht dachte bang an des Meisters Vorwürfe, wenn er die Kuh nicht heimbringe, war aber freudig überrascht, als er sie im Stalle deutlich muhen hörte. Da stand sie denn auch und ihr fehlte nichts, als dass sie hinten lahm ging, da ihr an einem Schenkel jenes Stück Fleisch fehlte, welches er verzehrt.
Aus: P. Keckeis, M. Waibel, Sagen der Schweiz. Bern, Zürich 1986.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch