Oberhalb der Emmenmatt, wo sich der Hauptfluss des Emmentales der Ilfis nähert, um sich kurz hernach mit letzterer zu vereinigen, stand vor Zeiten dicht an dem steinigen Ufer ein kleines, rauchgeschwärztes Häuschen. Ein armer Korbmacher wohnte hier mit seiner grossen Familie. Mancher wunderte sich darüber, dass der arme Korber nie fremde Hilfe in Anspruch nahm, und es ging das Gerücht, dass sich die Erdmännlein bei ihm versammelten und ihn dafür reich beschenkten. Der Korber, darüber befragt, stellte dies nicht in Abrede, obschon das Licht, das man zu mitternächtlicher Stunde dort erblickte, seinen Grund in etwas ganz anderem hatte. Einmal nun zog ein gewaltiges Gewitter vom Hohgant her über die Berge des obern Emmentales. Alle Wasser schwollen in kurzem so an, dass Brücken und Stege von den reissenden Fluten fortgetragen und das Land auf weite Strecken überschwemmt und viele Fuss hoch mit Schutt und Steinen bedeckt wurde. Auch dem Häuschen, worin der Korber wohnte, drohte Gefahr. Nur mit Mühe gelang es ihm und den Seinigen, das nackte Leben zu retten.
Schon stürmte die wogende Wasserflut brandend und schäumend an die Mauern des Häuschens, als der Korbmacher, der noch einmal zurückgekehrt war, um noch zu retten, was zu retten war, auf dem niedern Dache seines Hüttchens ein winziges Männlein erblickte, das in Todesangst um Hilfe schrie. Ohne sich zu besinnen, watete der Korbflechter durch das Wasser seinem Hüttlein zu, schwang das kleine Männlein auf seine Schultern und erreichte bald sichern Boden.
«Du hast mir das Leben gerettet», sagte das Männlein «und ich möchte nicht undankbar erscheinen. Nimm hier diese Erbsen und koche dir und den Deinigen ein Müschen daraus. Aber gib acht, dass stets zwei davon übrig bleiben!» Mit diesen Worten drückte das Männlein dem Korber ein Säcklein Erbsen in die Hand und verschwand.
Der Korber, noch immer in Gedanken mit der Rettung seiner wenigen Habseligkeiten beschäftigt, hätte bald in seinem Unmut das sonderbare Geschenk des Zwerges weggeworfen. Aber er behielt das Säcklein Erbsen und kehrte zu den Seinigen zurück, welche in einem Nachbarhause Aufnahme gefunden hatten.
Das Wasser verlief sich die Nacht hindurch, so dass der Korbflechter am Morgen mit seiner Familie wieder in sein Häuschen einziehen konnte, das von den Wellen verschont geblieben war. Kaum war der grösste Schutt aus der Wohnung geräumt, mussten die Erbsen herhalten, die wirklich ein so ausgezeichnetes Mus lieferten, dass alle wünschten, jeden Tag Erbsenmus zu essen. Ihr Wunsch ging in Erfüllung; denn am folgenden Morgen war das Säcklein wieder voll und so alle Tage. Dabei blieben der Korbmacher, seine Frau und Kinder gesund und frisch und sie brachten es in kurzer Zeit dahin, dass sie aus dem Erlös ihrer Ware Ersparnisse machen konnten und alle Not ein Ende hatte. Das Geheimnis von den Erbsen vererbte sich von Kind auf Kindeskinder und würde noch heute bestehen, hätte ein unachtsames Mädchen nicht einmal, als es die Küche zu besorgen hatte, alle Erbsen auf einmal zum Kochen verwendet. Von da an blieb das Säcklein leer.
Aus: P. Keckeis, M. Waibel, Sagen der Schweiz. Bern, Zürich 1986.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch