Von der uralten Burg Gösgen steht nur noch ein Turm. In diesem Turm ist oben ein viereckiges Loch. Man nennt es das Hexenloch. Aus diesem Loch sieht man oft des Nachts, gewöhnlich in Freitagsnächten, hellglänzenden Kerzenschein. Wer sich dann näher wagt, hört ganz deutlich in dem Turm drin lautes Stimmengeräusch, Musik und Bechergeklirr wie bei einem fröhlichen Feste. Ein glaubwürdiger Bürger aus Solothurn erzählt, er sei auch einmal in der Nacht dahin geraten und habe den Spektakel lange mit angehört, da habe im Dorfe ein Hahn gekräht, und plötzlich sei das Licht erloschen und im Turm drin sei alles still geworden; hoch über ihm in der Luft aber aus dem Hexenloch habe es gerauscht wie vom Flügelschlag einer Schar Vögel.
Das waren die Geister der Freiherren, die in grauer Vorzeit auf der Burg gar übel herrschten. Am schlimmsten soll es einer des Namens Johann getrieben haben, der vor mehr als fünfhundert Jahren hier sass. Er war Kastvogt des Stiftes St. Leodegarien drüben in Schönenwerd, diesem aber wenig wohlgesinnt. Sooft einer der Chorherren starb, zog er dessen Güter ein und riss sie an sich. Er gab es zu, dass seine Knappen in die Wohnungen der Geistlichen eindrangen und sie ausraubten, während diese in der Kirche weilten. Ja, er setzte Angehörige des Stiftes im Turm gefangen und liess sie darin elend umkommen. Zur Strafe musste er nach dem Tode in seinem Schloss friedlos ein- und ausgehen.
Jetzt hört man nichts mehr von seinem unrastigen Wandeln. Die Glocken mögen ihn in seine Gruft hinunter gescheucht und ihm zur Ruhe verhelfen haben.
Quelle: P. Keckeis, M. Kully, Sagen der Schweiz. Solothurn, Zürich 1987. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch