Oft erzählte Pater Klemenz, ein alter Kapuziner, der nah und ferne fast für heilig gehalten wurde, weil kein anderer so gut Geister bannen, keiner so gut Teufel austreiben konnte, viele wunderbare Geister- und Hexengeschichten, die ihm selbst begegnet waren, und dies tat er vorzüglich, wenn er etwa Ungläubige von dem Dasein böser Geister überzeugen wollte. Unter allem dem aber, was der ehrwürdige, fromme Kapuziner erzählte, ist wohl folgendes Abenteuer, das weit unter dem gemeinen Volke verbreitet ist, und das mir Leute, die den alten Gottesmann noch kannten, erzählten, das Wunderbarste
An einem heissen Sommertage ergriff er den Wanderstab und schritt, so rasch es ihm sein Alter und die drückende Hitze erlaubten, über die Berge des Jura gegen den Horngraben hin, weil in dessen Nähe ein Senn seine Heilkunde für sein behextes Vieh in Anspruch nahm. Aber immer langsamer wurden seine Schritte, grosse Schweisstropfen fielen ihm in den Bart, und keuchend vermochte er kaum noch einen kleinen Berg zu ersteigen, von dessen Spitze eine Sennhütte den durstigen Pater zur Einkehr einzuladen schien. Doch die Hütte schien nicht bewohnt zu sein; man hörte nirgends das Geläut der Kühe, kein Senn trat dem Gottesmann entgegen und bot ihm alles an, was die ärmliche Hütte vermochte, und nur ein schwarzer, russiger Hund, der sich durch kein Wort besänftigen liess, fiel ihn mit grimmigem Knurren und Bellen an. Endlich öffnete sich die Türe und ein Mädchen streckte den Kopf heraus. Es fragte schüchtern den ehrwürdigen Herrn um sein Begehr. Doch konnte es von dem Pater kaum dazu gebracht werden, ihn in die Hütte zu lassen und ihm ein wenig Milch zu wärmen, denn die Mutter, sagte es, sei nicht zu Hause. Diese werde es derb ausschelten, wenn es etwas wegschenke. Erst als er die Milch zu zahlen versprochen hatte, liess sie ihn in die Stube treten, in der der Pater keinen Weihwasserkessel, kein Kruzifix, kein Heiligenbild, ja kein Zeichen einer christlichen Haushaltung fand. Als er sich umschaute, während das Mädchen das Feuer anfachte, wurde er zu seiner Verwunderung von der Bitte des Mädchens unterbrochen, ihr eine Pfanne, die sie nicht erlangen konnte, vom Kaminschoss herab zunehmen; aber er hatte sie nicht recht verstanden, er griff nach einer andern und wollte sie eben herablangen, als das Mädchen ängstlich rief: «Nein, nicht diese, Herr Pater, die andre, denn in der macht die Mutter das Wetter!»
Jetzt wurde dem Gottesmann klar, in welches Haus er gekommen war. Nachdem er sich gefasst und von dem Mädchen erfahren hatte, wie der Vater vor zwei Jahren gestorben sei und wie seither die Mutter nachts zum Kamin hinaus auf Besuch reite und selbst Besuch von einem fremden Herrn erhalte, der es ihnen an nichts fehlen lasse, ergriff der Pater trotz den Bitten und Tränen des Mädchens die Wetterpfanne und stellte sie aufs Feuer. Da erhob sich in der Luft ein schreckliches Sausen und Brausen, und bald war der Himmel mit schwarzen Wolken bedeckt. Sobald er die Milch in die Pfanne geschüttet hatte, stürzte unter Donner und Blitz ein heftiger Platzregen, mit Schlossen gemischt, vom Himmel, und nun ergriff der ehrwürdige Gottesmann eine nahliegende Haselrute und fing damit an, so lange und so heftig auf die Milch zu peitschen, bis die Hexe durchs Kamin herabfuhr und ihn heulend bat, doch mit Schlagen aufzuhören. Aber erst als sie ihm versprochen hatte, sich künftig des Umgangs mit dem Teufel und aller höllischen Künste zu enthalten, legte er die Rute weg und verliess, ohne etwas zu sich genommen zu haben, die Hütte, doch gestärkt durch seine Tat, obschon er wohl wusste, wie wenig reuigen Hexen zu trauen ist.
Quelle: P. Keckeis, M. Kully, Sagen der Schweiz. Solothurn, Zürich 1987. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch