Einst, als die Leute zu Selzach noch frömmer waren, kamen in den Winternächten nach dem Abendessen kleine Erdweiblein in die Häuser, wo Frauen und Mädchen Flachs spannen. Zuerst suchten sie nach Brosamen, die vom Essen her auf dem Tisch liegen geblieben waren. Sie zeigten sich so hungrig, dass sie die Fingerspitzen netzten und so die allerkleinsten Brösel noch aufnehmen konnten. Wollte man ihnen grosse Brotstücke geben, so schlugen sie diese aus. Danach setzten sie sich ans Spinnrad und spannen die schönsten Fäden. Doch arbeiteten sie immer zu zweien, weil ein Erdweibchen zu klein war, um den Flachs von den Spinnrocken zu zupfen und zugleich das Rad in Bewegung zu setzen. Ging man zu Bett, dann entfernten sie sich lautlos und kehrten in den Wald zurück.
Einst wollte es ein Bursche wissen, wie die Füsse dieser Erdweiblein gestaltet seien; denn diese trugen ihre langen faltigen Röcke bis zur Erde. Und so beschloss er zusammen mit seinem Bruder Asche in den Hausgang zu streuen. So füllten sie eine Wollmütze mit Asche und streuten diese im Gang aus. Am anderen Morgen sah man allerlei Spuren darin, als seien Gänse darauf herumspaziert.
Allein dieser Vorwitz erzürnte die Erdweiblein so sehr, dass sie sich von nun an nicht mehr sehen liessen und die Mädchen ihren Flachs allein spinnen mussten. Doch die Erdweiblein wollten grässliche Rache an den zwei Burschen nehmen. Nach zwei Jahren, als die Burschen schon längst nicht mehr an die Erdweiblein dachten, wollten sie im Sommer mit ihren Kameraden in der Aare schwimmen gehen. Als sie barfuss über den Flusssand liefen, fielen dem einen die Gänsefüsse ein und er erzählte den anderen seinen Spass mit den Erdweiblein. Doch wagte er sich zu weit auf die Sandbank hinaus. Der Grund wich unter seinen Füssen und er fand den Tod in den Fluten. Aber auch der andere Bursche bekam seine verdiente Strafe. Als die Geschwister die Habseligkeiten des Ertrunkenen teilten, nahm er die Wollmütze an sich, mit der sie einst die Asche in den Gang getragen hatten. Als er die Mütze aufsetzen wollte, fiel ihm ein Aschenrest in die Augen, was böse Folgen hatte, so dass er zuletzt stockblind wurde.
Quelle: P. Keckeis, M. Kully, Sagen der Schweiz. Solothurn, Zürich 1987. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch