Der unvorsichtige Knecht

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

In der Gemeinde Giswil, östlich vom Rothorn, liegt eine überaus stotzige Alp, welche unter dem Namen Staffel allgemein bekannt ist. Diese Alp, obwohl in der Markung von Giswil gelegen, gehört der Teilsame Schwändi bei Sarnen. Bor noch nicht gar langen Jahren alpete hier ein lebensfrischer Knecht, der als Besorger eines ansehnlichen, zwei alten Jungfern gehörenden Viehstandes über den Sommer angestellt war. Eine solch' steile Sommerweide bringt aber für einen gewissenhaften Knecht manche Sorge mit sich, mit der auf ungefährlichen Triften nicht gerechnet werden muss. Es ist also an solchen Orten notwendig und gebräuchlich, die gefährlichsten Abhänge einzuzäunen; eine solche Einzäunung ist unter dem Namen Fallhag hierzulande allgemein bekannt. Im Frühjahr, ehe der Senne mit seiner Herde diese Triften befährt, werden genannte Fallhäge erstellt, damit das Vieh während des Sommers bei Unwetter oder Mutwillen nicht ausgleite und in die Tiefe stürze; und im Herbste, wenn der Senne mit dem Vieh bereits in die Vorsäss gefahren ist, geht er wieder zurück und legt den Hag zu Boden, damit die Lawinen das Hagholz nicht mit sich fortreisten.

Aus Bequemlichkeit und jugendlichem Mutwillen unterliess aber unser Knecht die Vorsichtsmassregel der Erstellung eines Fallhages, mit der spöttischen Begründung: „Der St. Wendel und der St. Antoni müssen auch etwas zu tun haben, und das Vieh beschützen".

Aber schon am ersten Tage nach der Alpfahrt fiel die schönste, beste Kuh vom ganzen Senaten in eine grausige Tiefe und zerschellte zu einer blutigen Masse. Den Dienstgeberinnen verheimlichte der Knecht seine Nachlässigkeit und ersann als Grund ihres Schadens eine ganz unschuldige Ausrede. Kaum ein Jahr nach diesem Vorkommnis erkrankte der lebensstarke Mann, und als es mit ihm zum Sterben kam, verlangte er feine letztjährigen Dienstherrinnen zu sehen. Sie kamen, und er erzählte ihnen die Ursache des Schadens und bat sie um Verzeihung.

Diese wollten aber nichts von Vergebung wissen, bis der Herr Kaplan, ein noch heute in der Schwändi in gutem Andenken gebliebener Geistlicher, ernstlich in sie drang, dass man einem mit dem Tode ringenden Menschen vorbehaltlos verzeihen solle. Die alten Jungfern willigten schliesslich ein. Schon im folgenden Sommer aber hörte man im Staffel an der Stelle, wo die gemeldete Kuh ausgeglitten war, ein Ächzen und Stöhnen und Jammern und Schreien, das Stein und Bein erweichen konnte. Bei der Alpsegnung baten die Älpler den Hrn. Kaplan, er möchte an jene Stelle kommen und den Geist nach der Ursache seines Jammers befragen. Der fromme Herr willfahrte dem Wunsch der biedern Älpler und ging an den Ort, den ihm die Sennen bezeichneten. Gar bald hatte der Priester den Geist entdeckt und redete ihn an und frug nach dem Grund seiner Pein. Der Geist redete laut und deutlich, so dass es auch die Älpler verstanden und sagte, er sei jener Knecht, der aus Nachlässigkeit seine Brotgeber geschädigt habe, und nun habe ihm der lb. Gott verordnet, er müsse die Kuh auf dem Rücken wieder hinauftragen auf die Weide, und zwar so oft, bis der Schaden bei Angster und Heller abbezahlt sei. Jedes Mal trage er mit der entsetzlichen Last einen halben Heller des Schadens ab. Und noch heutzutage will man an der gefährlichen Stelle ganz deutlich das Jammern und Klagen des armen unglücklichen Knechtes vernommen haben.

Aus: Franz Niederberger Sagen und Gebräuche aus Unterwalden, Sarnen 1924. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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