Wie ehemals in Solothurn das Dasein des gefürchteten Gäutier’s ganz ausser Zweifel gesetzt wurde, so war es in Bern mit dem Käfigtier. Mitten in der Nacht hörten die erschrockenen Bewohner des Weibermarkts oder einer der umliegenden Gassen plötzlich einen durchdringenden, fürchterlichen Schrei, der aus keiner menschlichen oder tierischen Kehle herstammen konnte; Hunde fuhren dann von ihrem Lager auf und ihr Winseln und ihre scheue Furcht zeigten genugsam ein über natürliches Wesen an, und die Leute wickelten sich zitternd in ihre Bettdecken, ein nahes Unglück ahnend. Ja es begegnete oft späten Nachtwandlern oder den herumziehenden Wachen ein grosses wundersam gestaltetes Tier, vor dem sie sich dann schnell zurückzogen; obschon es nur wenige Nächte des Jahres erschien, so fand es doch die Regierung für wichtig genug, der Wache hinsichtlich desselben besondere Verhaltungsregeln zu geben, und zu verordnen, sie sollten es nicht anrufen und still bei ihm vorübergehen. Das Käfigtier ist der Geist eines habsüchtigen, grausamen Kerkermeisters, der seine armen Gefangenen verhungern liess, und das Geld zu ihrer Nahrung in seinen Sack schob; dadurch ward er reich, aber nicht glücklich und endlich auf dem Sterbebette bekannte er alles, und nun muss er zu seiner Strafe und zum Schrecken der Menschen als fürchterliches Nachtgespenst herumwandeln. Seit der Revolution aber hörten nur noch alte Mütterchen seine Stimme; die Wache aber und die vielen Nachtwandler haben es noch nie entdeckt; wahrscheinlich wird es endlich erlöst sein.
Aus: R. M. Kully, H. Rindlisbacher, Die älteste Solothurner Sagensammlung, in: Jurablätter. Monatsschrift für Heimat- und Volkskunde, 1987. Mit freundlicher Genehmigung von R.M.Kully. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch