Eine schöne Sitte ist der Alpsegen. Im Frühjahr, wenn die Älpler zu Alp gezogen, begibt sich der Seelsorger oder im Verhinderungsfalle einer seiner Hilfspriester in Begleit des Sigristen auf die Alpen, um für die Bewohner und ihr Vieh in dieser entfernten Einsamkeit den Schutz Gottes herabzuflehen. Da geht der Priester zum Kreuz vor den Hütten, das gewöhnlich auf einem erhöhten Platze steht, liest die langen sinnreichen Benediktionen, segnet und. bekreuzt nach allen Richtungen die Alp und alles was sich darin befindet. Unterdessen betet der Alpvogt oder Einiger den Rosenkranz und alle Hirten beten ihn andächtig nach. Dass nicht nur die Lebenden sondern auch die Verstorbenen sich der Wohltat der Segnungen erfreuen, zeigt nachfolgende Sage.
Zu Giswil im Grossteil finden wir unter den sogenannten Riedalpen auch eine Alp welche Brümsten genannt wird. Alljährlich, einige Tage nach der Auffahrt erschien der Seelsorger, um alles, was darin kreucht und fleucht gemäss einer uralten Segnung, dem Schutze Gottes anzubefehlen. Allemal wenn sich die Hirten um den Priester beim Kreuz gescharrt hatten und gläubigen Sinnes Gebete verrichteten, kamen drei steinalte Männlein, mit langen schwarzen Haaren, einer von der Hochalp Mettlen, der zweite aus Seewli und der dritte von Riedmatt her, knieten in einiger Entfernung hinter den Hirten nieder und entfernten sich schnell wieder, sobald der Priester den Segen gesprochen.
Lange, lange standen die Älpler ratlos vor diesem Rätsel, niemand wollte diese ganz altmodischen Männer kennen und der Seelsorger war gegen jedwede Frage stumm wie das Grab. Alle Jahre erschienen diese Männer, gleich in Tracht und Benehmen, aber immer mehr gealtert. Die ursprünglich schwarzen Haare grauten immer mehr, bis sie sich bei dem einen zur Silberweisse veränderten. Von da an erschien er nicht mehr. Es war derjenige, der aus dem Seewli kam. Nach und nach erschien auch derjenige von Mettlen nicht mehr; und ganz zuletzt, aber viele Jahre später war auch der von Riedmatt silberweiss geworden und blieb im folgenden Jahre ebenso aus.
Der Seelsorger selbst alt und grau geworden und immer befragt von gewunderigen Älplern, was für Bewandtnis es wohl mit diesen sonderbaren Männern haben möge, wurde endlich gesprächiger und erklärte, die Männer seien ihre Vorväter gewesen, die infolge ihrer Vergehen auf gmeinen Wiesen wandeln mussten und alljährlich eine grosse Erquickung und Nachlass erwirkten bei Teilnahme der Alpsegnung.
«O, Ihr blinden Älpler! Nur drei habt ihr gesehen und ich schaute ungezählte Schaaren von leidenden Seelen, die herbeieilten aus allen Schluchten und Klüften zur Alpsegnung.»
Kurz darauf wurde dieser würdige Seelsorger abberufen vom Schauplatz irdischer Tätigkeit; es soll Pfarrer von Moos gewesen sein und es erschien wieder ein anderer Seelsorgerauf der Bildfläche, aber diese Sage hat sich erhalten bis in unsere Gegenwart.
Aus: Franz Niederberger Sagen und Gebräuche aus Unterwalden, Sarnen 1924. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch