Ein Dienstbote verklagte seinen Herrn wegen ungenügenden Lohnes beim Richter. Er konnte aber keinen genügenden Beweis dafür angeben. Deshalb wurde er für eine bestimmte Zeit in die «Chefig» gesteckt wegen übler Nachrede. Mit ihm teilte die Gefängniszelle ein Vagabund, «der alte Lädeler» benannt. Er war ein notorischer Säufer. Von Kindheit auf trug er das harte Los eines Krüppels; nur mit Hilfe von Schienen oder Brettern konnte er sich mühsam fortbewegen. Das mag viel dazu beigetragen haben, dass er sein Leben lang verbittert war und zum Alkohol die Zuflucht genommen hatte. Ausserdem besass er ein gutes Mundwerk, das er allzu oft zum Schimpfen und Fluchen missbrauchte, besonders traf dies ein, wenn er zu viel hinter die Binde gegossen hatte. Während der Gefängnishaft starb der Lädeler unvermutet schnell. Jetzt war der Knecht alleiniger Bewohner der Zelle. In seiner Einsamkeit oder wenn der Wärter ihm das Essen brachte, spottete oder schimpfte er über den verstorbenen Mithäftling. Nicht ungestraft sollten seine Spottereien bleiben.
In einer hellen Nacht bemerkte der Gefangene plötzlich eine dunkle Gestalt in der Zelle. Näher, immer näher kam sie. Zu seinem grossen Schrecken erkannte der Knecht die Erscheinung: der alte Lädeler war’s. In unheimlichem Schweigen trat er zum Strohlager seines ehemaligen Schicksalsgenossen, und noch nicht genug: er schlüpfte zu ihm ins Bett und blieb steif und starr neben dem vor Angst halbtoten Spötter liegen. Eiskalt fühlte sich der Leib des grausigen Schlafkameraden an. Der Knecht wagte sich gar nicht zu rühren aus Furcht, den Zorn des Geistes zu erregen. Als am Morgen die Betglocke läutete, sprang der Lädeler blitzschnell vom Bett und verschwand so schnell er gekommen war. Dem gestraften Häftling verging die Lust am weiteren Spötteln über den verstorbenen Lädeler.
Quelle: Pater Nikolaus Bongard, Sensler Sagen, Freiburg 1992.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.